Dillschneider, Sägemüller und Fiedler: Familiennamen nach Beruf und persönlichen Merkmalen
21.04.2016
Der fünfte Band des Deutschen Familiennamenatlas (DFA) zur Gruppe der Berufs- und Übernamen liegt vor. Der neue Band behandelt die Entstehungsmotivation der Namen durch den Beruf und durch persönliche Merkmale wie beispielsweise die körperliche Erscheinung eines Menschen. Während andere Bände die Bildung von Familiennamen anhand anderer Namen, zum Beispiel anhand von Rufnamen oder Städtenamen, zum Thema haben, beruhen die Familiennamen im fünften Band nicht auf Namen, sondern ausschließlich auf Substantiven, Adjektiven oder Verben, wie sie in der gesprochenen Sprache des späten Mittelalters in Gebrauch waren. Damit stellt der Band ein neues Grundlagenwerk für die Sprachgeschichte dar.
"Mit über 1.000 Seiten ist dies unser dickster und wahrscheinlich auch attraktivster Band, der am meisten über die Wortgeographie der Berufsbezeichnungen aussagt", erklärt Prof. Dr. Damaris Nübling vom Deutschen Institut der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). Der erste Teil des vorliegenden Bandes gilt Namen, die durch Beruf, Stand oder Amt motiviert sind. "Fiedler" beispielsweise geht auf die Bezeichnung eines Geigenspielers im Norden Deutschlands zurück, im Süden ist der Name "Geiger" verbreitet. Ob jemand "Bäcker" oder "Beck", "Pfister" oder "Pistor" heißt, lässt sich ebenso regional vergleichen wie "Sägemüller" oder "Schreiner" und "Gockel" oder "Gögel". Viele Bezeichnungen finden sich für Spezialbäcker, etwa "Semmler", "Mutschler", "Lebküchler" oder auch "Schlotterbeck". "Insgesamt lässt sich sagen, dass die 14 häufigsten Familiennamen in Deutschland allesamt Familiennamen aus Berufsbezeichnungen sind", erläutert Projektmitarbeiterin Dr. Kathrin Dräger.
Der zweite Teil des fünften Bandes behandelt Namen, die durch körperliche, charakterliche oder biographische Merkmale motiviert sind: "Klein" und "Groß" gehören zu den häufigsten Namen, andere wie "Weiß", "Roth" oder "Kraus" gehen auf Haarfarbe oder Haarbeschaffenheit zurück. Bestimmte Verhaltensweisen führten zu Namen wie "Still" oder "Stille", jemand, der viel zu sich nimmt, wurde "Schlemmer" genannt. "Die Palette dieser Übernamen ist außerordentlich vielfältig, weil viele unterschiedliche Merkmale eingehen vom Körperumfang über die Gangart bis zu Trink- oder Schlafgewohnheiten", so Dräger.
419 Karten zeigen, wie die häufigsten Namen regional verteilt sind. Dabei ging es den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nicht darum, die Verbreitung einzelner Namen festzuhalten, sondern sie im Spektrum ihrer Varianten – "Diller" und "Dillschneider" etwa – darzustellen und sie ins Umfeld konkurrierender Namen einzubetten.
Der Atlas entsteht als Kooperationsprojekt der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg (Prof. Dr. Konrad Kunze, Prof. Dr. Peter Auer) und der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (Prof. Dr. Damaris Nübling) und wurde ab 2005 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. Er bietet nicht nur der Namenforschung ein neues Fundament, indem er den Bestand und die Verbreitung der Familiennamen in der Bundesrepublik Deutschland auf dem Stand von 2005 festhält. Auch anderen Disziplinen von der Sozialgeschichte über die Siedlungs- und Migrationsforschung bis zur Genetik steht damit ein unverzichtbares hilfswissenschaftliches Instrument bereit. Trotz zahlreicher Flucht- und Wanderbewegungen in den vergangenen Jahrhunderten und trotz der modernen Mobilität sind die geschichtlich gewachsenen Namenlandschaften erstaunlich stabil geblieben.
Ursprünglich war der Deutsche Familiennamenatlas mit vier Bänden konzipiert. Die Datengrundlage erwies sich jedoch als so umfangreich, dass das Projekt nun auf sechs Bände plus einem Registerband ausgelegt wird. Der sechste Band zur Bildung von Familiennamen aus Rufnamen ist in Bearbeitung und wird voraussichtlich 2017 erscheinen.