Deutscher Familiennamenatlas erfasst erstmals geschichtlich gewachsene Namenlandschaften

Lücke bei sprachwissenschaftlichen Großwerken wird geschlossen / Gemeinsames Projekt der Universitäten Mainz und Freiburg

28.02.2005

Noch zeigen die Familiennamen in Deutschland eine deutlich regionale Verteilung. "Schweizer" und "Häberle" beispielsweise kommen in Südwestdeutschland vor, "Petersen" und "Hansen" sind typische Namen aus Schleswig-Holstein. Über Jahrhunderte hinweg hat sich die Landkarte der Familiennamen nur wenig verändert. Nun kommt durch die zunehmende Mobilität der Bevölkerung und infolge von Änderungen im Namenrecht und in der Familienstruktur Bewegung in das bislang sehr stabile Bild der Familiennamen. Um das jetzige Namenbild zu dokumentieren, haben die Universitäten in Mainz und Freiburg ein gemeinsames Projekt mit der Bezeichnung "Deutscher Familiennamenatlas" lanciert. Mit finanzieller Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) wird dieses Projekt den Namenbestand, wie er vom Aufkommen der Familiennamen im Hochmittelalter bis zum Ende des 20. Jahrhunderts gewachsen ist, erfassen und interpretieren.

Die geschichtlich gewachsenen Namenlandschaften sind noch immer in einer erstaunlichen Stabilität erhalten. Während sich der Familienname "Schmidt" mit "dt" überall in Deutschland findet, kommt "Schmied" mit "ie" und "d" zum Beispiel eindeutig mehr im Süden und Südwesten der Republik vor, im Westen dominiert "Schmitz". Den Sprachwissenschaftlern liefert die Verteilung der Namen und ihre Veränderung im Laufe der Zeit wertvolle Hinweise auf die Entwicklung der deutschen Sprache insgesamt. "Namen sind zu Fossilien erstarrte Sprache", erläutert Prof. Dr. Damaris Nübling vom Deutschen Institut der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). Sie ist, gemeinsam mit Prof. Dr. Konrad Kunze aus Freiburg, Leiterin des DFG-Projekts. "Daher können wir durch die Erhebung und Analyse der Familiennamen nach ihrem regionalen Vorkommen wichtige Erkenntnisse zur Geschichte der deutschen Grammatik und der Sprachgeographie gewinnen." Weil sich Namen im Vergleich zu anderen Sprachbereichen langsamer entwickelt haben, stellen die Erhebungen auch eine erstrangige Quelle für die Sprachgeschichte dar, vor allem für die Rekonstruktion gesprochener mittelalterlicher Dialekte.

Aus datentechnischen Gründen ist ein solches Projekt erst in den letzten Jahren realisierbar geworden: Erst durch die elektronische Speicherung von Telefonanschlüssen ist ein umfassender Zugriff auf den Namenschatz möglich. Dabei werden als Datenbasis die Festnetzanschlüsse von 1995 zugrunde gelegt, so dass auch Anschlüsse im Osten Deutschlands mit erfasst werden und andererseits die fortschreitende Ablösung von Festnetzanschlüssen durch Handys noch nicht ins Gewicht fällt.

Ein Problem ist die Bevölkerungsmigration. "Deutschland hat seit dem 16./17. Jahrhundert viele Flüchtlingsbewegungen erlebt", erklärt Nübling. Dazu gehört insbesondere die Bevölkerungsverschiebung nach dem zweiten Weltkrieg, wodurch das bis 1945 bestehende Namenbild im Gebiet der heutigen Bundesrepublik um 13,3 Prozent beeinträchtigt wurde. Nach dem Dreißigjährigen Krieg machte die "Verrauschung" sogar in manchen Regionen über 50 Prozent aus. Um diesen Störfaktor auszuschalten, werden in der Regel nur solche Namen beziehungsweise Namentypen berücksichtigt, die eine hohe Frequenz (Trägerzahl) aufweisen.

Moderne "Wanderbewegungen" und gesellschaftliche Umbrüche lassen erwarten, dass sich das derzeitige Namenbild bald stark verändert. In den letzten Jahrzehnten nahm die Mobilität innerhalb von Deutschland rasant zu, und die Einwanderung aus anderen europäischen und mittlerweile zunehmend auch außereuropäischen Ländern steigt. Dies schlägt sich schon jetzt in den Namendaten nieder und läutet ein neues Kapitel in der europäischen Namengeschichte ein. Im Hinblick auf die Namentradition steht das Projekt am Ende einer langen Periode namengeschichtlicher Kontinuität, die jetzt durch das neue Namenrecht und neue Familienstrukturen einschneidend unterbrochen wird. Damit wird die jahrhundertealte Konstante eines Familiennamens, der über die männliche Linie vererbt wurde, durchbrochen.

Die Familiennamen sind, so Damaris Nübling, der einzige Bereich der europäischen Sprachen, der in seiner sehr ausgeprägten Vielfalt noch höchst unzureichend erfasst ist. Mit dem sprachwissenschaftlichen Großprojekt "Deutscher Familiennamenatlas" wird hier eine Lücke geschlossen. Die Ergebnisse der Erhebungen sollen auf 970 Karten dokumentiert und erläutert werden. Sie werden in vier Bänden zusammengefasst, davon zwei grammatische und zwei lexikalische Bände. Die Arbeiten dazu sind auf sieben Jahre angelegt.