Teil III: Auswirkungen von Möbel Martin auf den City-Einzelhandel
09.12.2013
Mitte August 2012 wurde Möbel Martin am Stadtrand von Mainz im Gewerbepark Hechtsheim-Süd mit einer Verkaufsfläche von 45.000 qm eröffnet. Die Ansiedlung dieses Großbetriebs wurde aus Sicht der Stadtentwicklung als dringend erforderlich angesehen, da das Möbelangebot im Mainzer Stadtgebiet völlig unzureichend war. Ein erheblicher Teil der Kaufkraft in diesem Einzelhandelssegment wurde deshalb von auswärtigen Möbelfachmärkten abgeschöpft.
Ursprüngliche Bedenken gegen Randsortimente
Trotz grundsätzlicher Zustimmung zum Projekt gab es jedoch Kritik an der Genehmigung einer Verkaufsfläche von 4.500 qm für Randsortimente bei Möbel Martin. Darunter sind etwa Hausrat, Gardinen, Kissen, Bilderrahmen und Geschenkartikel zu verstehen. Solche Waren werden vor allem von Geschäften im Stadtzentrum angeboten. Das geplante cityrelevante Angebot auf der "Grünen Wiese" wurde deshalb als Bedrohung für einen Teil des innerstädtischen Einzelhandels angesehen. Die Kritik entzündete sich außerdem an der Herausnahme von Lampen aus den im Mainzer Zentrenkonzept festgelegten Randsortimenten, wodurch ein zusätzlicher Kaufkraftabfluss aus der City befürchtet wurde.
Ein Verträglichkeitsgutachten kam zwar zu dem Schluss, dass nur 8 Prozent der Verkaufsflächen im Stadtzentrum von der neuen Konkurrenz am Stadtrand berührt würden. Allerdings waren darunter etliche kleine inhabergeführte Geschäfte, die den besonderen Reiz der Mainzer Innenstadt ausmachen. Die Befürworter erwarteten dagegen, dass Möbel Martin neue Kunden aus einem größeren Einzugsbereich anziehen würde, die ihren Möbeleinkauf in Mainz auch mit einem Besuch der Innenstadt verbinden würden. Davon würden dann auch die kleinen Geschäfte profitieren.
Passantenbefragungen des Geographischen Instituts
Vor dem Hintergrund der kontroversen Diskussion über die erhofften oder befürchteten Auswirkungen von Möbel Martin wurde diese Thematik im Rahmen der Langzeitstudie zur City-Entwicklung aufgegriffen, die das Geographische Institut der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) seit 2003 im Abstand von zwei Jahren durchführt. Unter Leitung von Prof. Dr. Günter Meyer interviewten Geographiestudierende im Mai 2013 rund 2.100 Innenstadtbesucher. Neun Monate nach Eröffnung von Möbel Martin wurden die Passanten in den Hauptgeschäftsstraßen des Stadtzentrums unter anderem auch nach ihren Einkaufsaktivitäten im neuen Möbelfachmarkt gefragt.
Altersabhängige Zunahme der Besucher bei Möbel Martin
Insgesamt 39 Prozent aller interviewten Passanten waren in den ersten neun Monaten bereits bei Möbel Martin in Mainz-Hechtsheim. Hier besteht ebenso wie bei den Antworten auf die weiteren Fragen kaum ein Unterschied zwischen Einheimischen und Auswärtigen. Dagegen ist eine deutliche Abhängigkeit vom Alter und in geringerem Maße auch vom Geschlecht der Befragten festzustellen.
Nur 18 Prozent der männlichen und 26 Prozent der weiblichen Innenstadtbesucher in der Altersgruppe der 15- bis 25-Jährigen waren bereits während der ersten neun Monate bei Möbel Martin. Mit zunehmendem Alter der Befragten steigen die Werte und erreichen mit 52 Prozent bzw. 54 Prozent unter den 51- bis 65-Jährigen ihr Maximum. In der höchsten Altersgruppe geht das Interesse an einem Besuch des Möbelfachmarkts wieder zurück. Diese Unterschiede lassen sich weitgehend durch die altersspezifische Nachfrage nach Möbeln und die in der Regel stärkeren Einkaufsaktivitäten von Frauen im Vergleich zu Männern erklären.
Mehr als jeder vierte Besucher hat sich bei Möbel Martin nur informiert
Nach der Eröffnung eines solchen Großbetriebs ist die Neugier der Konsumenten zunächst sehr groß, auch wenn kein unmittelbarer Kaufwunsch besteht. So kann es nicht überraschen, dass 28 Prozent der Besucher nur bei Möbel Martin waren, um sich über das Angebot zu informieren, ohne tatsächlich einzukaufen. 37 Prozent hatten dort einmal innerhalb der ersten neun Monate nach der Eröffnung eingekauft. 25 Prozent waren zwei- oder dreimal zum Einkaufen bei Möbel Martin. Die restlichen 9 Prozent hatten noch häufiger, vereinzelt sogar bereits mehr als zehnmal Einkäufe im Großbetrieb getätigt.
Die meisten Kunden kaufen Randsortimente
Wie wichtig die Randsortimente für den Möbelfachmarkt sind, zeigt sich daran, dass die Mehrheit der Kunden bei ihrem letzten Einkaufsbesuch Tischtücher, Geschirr, Geschenkartikel und andere Waren erworben hat, also keine Möbel. Insgesamt 62 Prozent der Kunden haben Waren aus dem Bereich der Randsortimente gekauft, die als cityrelevantes Angebot eingestuft werden. Davon hat jeder Dritte (34 Prozent) nur Randsortimente erworben. 28 Prozent haben den Einkauf von Möbeln mit dem Erwerb anderer Waren verbunden, die im Sinne einer nachhaltigen Stadtentwicklung in der City angeboten werden sollten.
Einkauf auf der "Grünen Wiese" statt in der City
Zur Untersuchung der Konkurrenzsituation zwischen "Grüner Wiese" und Stadtzentrum wurden die Passanten auch gefragt, ob sie bei Möbel Martin Waren eingekauft haben, die sie sonst in der Mainzer Innenstadt erworben hätten. Zwei Drittel verneinten diese Frage. Weitere 10 Prozent gaben an, dass sie nicht wussten, ob sie diesen Artikel auch in der Innenstadt gefunden hätten. Fast jeder Vierte (23 Prozent) erklärte, bei Möbel Martin Waren erworben zu haben, die sonst in der Mainzer City gekauft worden wären. Dies belegt einen deutlichen Kaufkraftabfluss aus der Innenstadt an den Stadtrand.
Kaum Koppelung von Einkäufen bei Möbel Martin und im Stadtzentrum
Die Koppelungsaktivitäten zwischen Einkäufen am Stadtrand und in der City waren ebenfalls Gegenstand der Untersuchung. Die Passanten wurden deshalb gefragt, ob sie ihren letzten Einkaufsbesuch bei Möbel Martin mit dem Besuch von anderen Geschäften in der Mainzer Innenstadt, in den Randbereichen oder außerhalb von Mainz verbunden hatten. 89 Prozent hatten nur im Möbelfachmarkt eingekauft. Jeweils 5 Prozent hatten ihren Einkauf bei Möbel Martin mit Geschäftsbesuchen in der Mainzer Innenstadt und am Stadtrand verbunden. 1 Prozent hatte auch außerhalb von Mainz eingekauft.
Bei den auswärtigen Kunden, die ihren Besuch bei Möbel Martin mit einem Einkauf im Stadtzentrum gekoppelt hatten, war der Anteil mit knapp 6 Prozent nur geringfügig höher als bei den Einheimischen. Die ursprüngliche Erwartung, dass durch Möbel Martin neue Kunden nach Mainz gezogen werden, von denen auch der innerstädtische Einzelhandel profitiert, lässt sich durch dieses Ergebnis nicht bestätigen.
Umsatzeinbußen nur bei 14 Geschäften in der City
Im Zusammenhang mit der Diskussion über die zulässige Verkaufsfläche für Randsortimente bei Möbel Martin war 2010 in der Innenstadt eine detaillierte Erhebung der Geschäfte durchgeführt worden, die von der neuen Konkurrenz am Stadtrand betroffen sein könnten. Dabei wurde festgestellt, dass die Randsortimente eine potenzielle Beeinträchtigung für 67 Geschäfte bedeuten, die in der Innenstadt Waren in den Branchen Einrichtung, Wohnen, Heimtextilien und Geschenkartikel anboten. In welchem Maße diese potenzielle Bedrohung tatsächlich zu einer Gefährdung des innerstädtischen Einzelhandels geführt hat, sollte ebenfalls bei den jüngsten Untersuchungen des Geographischen Instituts geklärt werden. Dazu wurden die Leiter der Geschäfte in der Mainzer City befragt. Von den 280 Betriebsleitern, die auf die entsprechende Frage antworteten, hatten nur 6 Prozent durch Möbel Martin Auswirkungen auf den Umsatz ihres Geschäfts festgestellt. Dabei handelte es sich in sieben Fällen um einen leichten Rückgang. Ebenso viele Geschäftsleiter gaben an, dass sie einen erheblichen Umsatzrückgang zu verzeichnen hatten, seit Möbel Martin eröffnet wurde. In einem Schmuckgeschäft wurde allerdings auch eine leichte Umsatzsteigerung registriert. Dies würde die These stützen, dass durch Möbel Martin neue Kunden in die Mainzer Innenstadt kommen.
Fazit: Negative Auswirkungen für City-Einzelhandel geringer als befürchtet
Die vorliegenden Untersuchungsergebnisse zeigen, dass das relativ große Randsortiment bei Möbel Martin zu einem deutlichen Kaufkraftabfluss vom Stadtzentrum auf die "Grüne Wiese" geführt hat. Die dadurch feststellbaren negativen Folgen für den innerstädtischen Einzelhandel sind jedoch geringer als ursprünglich befürchtet. Dieser Nachteil wird jedoch aus gesamtstädtischer Perspektive mehr als aufgewogen durch die Vorteile der außerordentlich erfolgreichen Ansiedlung von Möbel Martin, wie die hohen Umsätze und die neuen Arbeitsplätze zeigen, die weit über die ursprünglichen Erwartungen hinausgehen. Nicht zu vernachlässigen ist auch der Gewinn für die Mainzer Bevölkerung, die ihren Möbelbedarf innerhalb des Stadtgebiets decken kann und weniger auf Anbieter in benachbarten Bundesländern angewiesen ist.