Teil I: Wie beurteilen die Einzelhändler den geplanten Bau eines Einkaufszentrums in der Ludwigsstraße?
11.08.2011
Angesichts der aktuellen, zunehmend emotional geführten Diskussion um die Errichtung eines Einkaufszentrums in der Ludwigsstraße sind verlässliche Informationen über die Struktur und Entwicklung des Einzelhandels in der Mainzer Innenstadt eine wichtige Voraussetzung, um die Argumente für und wider ein solches Großprojekt sachlich beurteilen zu können. Im Rahmen von "Mainz – Stadt der Wissenschaft" führte deshalb das Geographische Institut der Johannes Guztenberg-Universität Mainz (JGU) in Zusammenarbeit mit dem Amt für Stadtentwicklung im Juni umfangreiche Untersuchungen durch. Unter der Leitung von Prof. Dr. Günter Meyer befragten Geographiestudierende rund 300 Mainzer Einzelhändler und mehr als 2.000 Besucher der Innenstadt. Ebenso viele Passanten wurden auch in der Wiesbadener City interviewt, um die Besonderheiten der benachbarten Landeshauptstädte aufzeigen zu können, die beide versuchen, möglichst viele Einzelhandelskunden aus dem überlappenden Einzugsbereich für Einkäufe in der jeweiligen Stadt zu gewinnen.
Ergänzend zu den Befragungen wurden auch Passantenzählungen in beiden Stadtzentren durchgeführt, um die Verteilung der Fußgängerströme zu erfassen. Dies ist deshalb wichtig, weil die Höhe der Passantenfrequenz in den Geschäftsstraßen sich nicht nur auf den Umsatz der dortigen Läden auswirkt, sondern weil sie sich auch je nach Lage im Stadtzentrum verändert, wenn ein neues Einkaufszentrum errichtet wird. Die Zählungen und Befragungen fanden erstmals 2003 statt und werden seither in 2-jährigem Abstand durchgeführt, sodass jetzt mit den Resultaten von fünf Untersuchungen die Entwicklung der letzten sieben Jahre dokumentiert werden kann. Die Ergebnisse der jüngsten Studie werden in einer Artikelserie in den nächsten Wochen veröffentlicht.
Die Einelhändler und Passanten wurden gefragt, was sie von der Errichtung eines neuen Einkaufszentrums in der Ludwigstraße halten und ob sie den Bau dieses Einkaufszentrums befürworten, dagegen seien, oder ob es ihnen egal sei. Ergänzend wurden die Einzelhändler auch nach den Gründen für ihre Zustimmung oder Ablehnung des geplanten Großprojektes gefragt. Insgesamt 283 Leiter von Einzelhandelsgeschäften in der Innenstadt beantworteten diese Fragen.
Ein Drittel der Einzelhändler lehnt Shopping-Center ab
Von den befragten Betriebsleitern sind 34 Prozent gegen die Errichtung eines Einkaufszentrums in der Ludwigsstraße. Als Hauptgrund für die Ablehnung wird von 36 Einzelhändlern die Konkurrenz durch das zusätzliche Warenangebot genannt. Vor allem kleinere, inhabergeführte Läden aber auch eine Reihe von Filialbetrieben erwarten Umsatzeinbußen durch das größere Angebot im Shopping-Center.
Mit deutlichem Abstand folgt der zweithäufigste Ablehnungsgrund: die Erwartung von 20 Betriebsleitern, dass es zu einer Verlagerung der Passantenströme in Richtung Einkaufszentrum kommen wird. Da weniger Fußgänger an dem betreffenden Geschäft vorbeikommen, wird auch die Zahl der Laufkunden zurückgehen. Diese Befürchtung wird vor allem von Geschäftsleuten in den Bereichen der Innenstadt geäußert, deren Läden relativ weit von dem geplanten Shopping-Center entfernt sind und die meist in den Randbereichen der City liegen, besonders im Bleichenviertel sowie in der Gaustraße und Augustinerstraße.
Auf Rang 3 rangiert mit sieben Nennungen die Ansicht, dass ein modernes Einkaufszentren nicht in das Bild der Mainzer Innenstadt passt. Andere sind der Meinung, dass sich Shopping-Center nicht für den Einzelhandel rentieren (6) und es ohnehin schon zu viele Einkaufszentren gibt (5). Jeweils zweimal wird festgestellt, dass durch das Shopping-Center die Zahl der Filialisten und Ketten nur noch weiter steigen wird, die Geschäftsleerstände im Stadtzentrum zunehmen werden, und besser das Bestehende erhalten werden sollte, ehe neue Großprojekte gebaut werden.
17 Prozent der Geschäftsleiter ist das Shopping-Centers egal
Jedem 6. Einzelhändler ist es egal, ob das Einkaufzentrum gebaut wird oder nicht. Die Betreffenden gehen davon aus, dass ihre geschäftlichen Aktivitäten durch die kräftige Ausweitung des Warenangebots in der City in keiner Weise beeinträchtigt werden. In der Regel bieten sie Nischenprodukte an und versorgen vor allem Stammkunden.
Die Hälfte der Einzelhändler befürwortet das neue Einkaufszentrum
Die größte Gruppe der Geschäftsleiter bilden mit einem Anteil von 49 Prozent die Befürworter des geplanten Großprojektes. Hier ist es durchaus überraschend, dass selbst bei den kleinen, inhabergeführten Geschäften im Bereich von Augustinerstraße, Kirschgarten und Gaustraße die Zustimmung mit 21 Befürwortern größer ist als die Ablehnung durch 17 Betriebsleiter.
Am häufigsten (37 Nennungen) wird als Grund für Zustimmung zum Einkaufszentrum die erwartete Attraktivitätssteigerung genannt, wodurch mehr Kunden aus dem Umland in die Innenstadt kommen und weniger Kaufkraft in die Nachbarstädte abfließt.
An zweiter Stelle (27 Nennungen) folgt die Erwartung eines Anstiegs des Passantenverkehrs und damit der Laufkundschaft. Hier handelt sich vor allem um Läden in den Hauptgeschäftsstraßen und in der Nähe des geplanten Großprojektes.
Als Grund für ihre Befürwortung geben 26 Geschäftsleiter an, dass das neue Einkaufszentrum zu einer Belebung der gesamten Innenstadt führen wird. Eine Aufwertung und bessere Anbindung der Ludwigsstraße erhoffen sich 18 Befragte. 15 Betriebsinhaber gehen davon aus, dass die Angebotsvielfalt größer wird und neue Branchen hinzukommen, wovon nach dem Prinzip "Konkurrenz belebt das Geschäft" auch die bestehenden Läden profitieren werden.
Bei der Beurteilung dieser Ergebnisse muss beachtet werden, dass die Befragungen zwischen dem 14. und 22. Juni durchgeführt wurden. Zu dem Zeitpunkt war noch nicht bekannt, dass ECE den Zuschlag für die Errichtung des Einkaufszentrums erhalten wird. Nachdem sich die aktuelle Diskussion vor allem an diesem Unternehmen und der Größe des geplanten Projektes entzündet, ist es durchaus möglich, dass manche Einzelhändler ihre Einstellung zu dem Vorhaben geändert haben.