Teil I: Wie beurteilen Innenstadtbesucher und Einzelhändler den geplanten Bau eines Einkaufszentrums in der Ludwigsstraße?
11.11.2013
Angesichts der aktuellen Diskussion um die Errichtung eines Einkaufszentrums in der Ludwigsstraße sind verlässliche Informationen über die Struktur und Entwicklung des Einzelhandels in der Mainzer Innenstadt eine wichtige Voraussetzung, um die Argumente für und wider ein solches Großprojekt sachlich beurteilen zu können. Deshalb führte das Geographische Institut der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) in Zusammenarbeit mit dem Amt für Stadtentwicklung im Mai 2013 umfangreiche Untersuchungen durch. Unter der Leitung von Prof. Dr. Günter Meyer befragten Geographiestudierende rund 300 Mainzer Einzelhändler und mehr als 2.000 Besucher der Mainzer Innenstadt. Ebenso viele Passanten wurden auch in der Wiesbadener City interviewt, um die Besonderheiten der benachbarten Landeshauptstädte aufzeigen zu können, die beide versuchen, möglichst viele Einzelhandelskunden aus dem überlappenden Einzugsbereich für Einkäufe in der jeweiligen Stadt zu gewinnen.
Ergänzend zu den Befragungen wurden auch Passantenzählungen in beiden Stadtzentren durchgeführt, um die Verteilung der Fußgängerströme zu erfassen. Dies ist deshalb wichtig, weil die Höhe der Passantenfrequenz in den Geschäftsstraßen sich nicht nur auf den Umsatz der dortigen Läden auswirkt, sondern weil sie sich auch je nach Lage im Stadtzentrum verändert, wenn ein neues Einkaufszentrum errichtet wird. Die Zählungen und Befragungen fanden erstmals im Jahr 2003 statt und werden seither in zweijährigem Abstand durchgeführt, sodass jetzt mit den Resultaten von sechs Untersuchungen die Entwicklung der letzten zehn Jahre dokumentiert werden kann.
Insgesamt 2.002 Besucher der Mainzer Innenstadt beantworteten im Untersuchungszeitraum im Mai 2013, die folgenden Fragen:
- "Wie beurteilen Sie die Pläne zum Bau eines neuen Einkaufszentrums in der Ludwigsstraße im Bereich von Karstadt?
- Sollte dort, wie von Stadtverwaltung und Stadtrat geplant, ein großes Einkaufszentrum errichtet werden?
- Sollte dort nur ein wesentlich kleineres Einkaufszentrum gebaut werden?
- Sollte überhaupt kein neues Einkaufszentrum in der Ludwigsstraße errichtet werden?
- Oder sind Ihnen die Pläne zum Bau eines Einkaufszentrums nicht bekannt?
Zum Befragungszeitpunkt waren die vom Mainzer Stadtrat im Oktober 2012 verabschiedeten Leitlinien und Empfehlungen für das Großprojekt bekannt. Die 12 Eckpunkte für das Einkaufsquartier Ludwigsstraße als Zwischenergebnis der Verhandlungen mit dem Investor wurden erst am 7. Juni 2013 vorgestellt.
Jeder vierte Innenstadtbesucher kennt Pläne für Einkaufszentrum nicht
25 Prozent der in den Hauptgeschäftsstraßen von Mainz befragten Passanten wissen nicht, welche Planungen für den Bau eines neuen Einkaufszentrums bestehen. Erwartungsgemäß liegt dieser Anteil bei den auswärtigen City-Besuchern mit 35 Prozent deutlich über dem Durchschnitt. Überraschend ist jedoch, dass trotz ständiger Berichterstattung in den Medien und zahlreicher öffentlicher Informationsveranstaltungen auch jeder fünfte Mainzer die Pläne für das Shopping-Center nicht kennt. Dabei ist eine klare Abhängigkeit vom Alter der Befragten festzustellen: Unter den 15- bis 25-Jährigen ist die Unkenntnis über das Projekt in den Ludwigsstraße mit 36 Prozent am größten. Dagegen sind nur 12 Prozent der über 65-Jährigen nicht mit den Planungen vertraut.
Relativ geringe Zustimmung zum kommunalen Planungskonzept
Für die weiteren Auswertungen werden nur die Antworten jener Innenstadtbesucher berücksichtigt, denen die Bauplanung des Einkaufszentrums bekannt ist. Nicht mehr als 29,5 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass ein großes Einkaufszentrum errichtet werden sollte, so wie es von Stadtverwaltung und Stadtrat geplant ist. Dabei ist kein Unterschied zwischen den Ansichten von einheimischen und auswärtigen City-Besuchern festzustellen. Die Zustimmungsrate der weiblichen Passanten fällt etwas niedriger (28 Prozent) aus als bei den männlichen Befragten (32 Prozent).
Höchste Zustimmung von jungen Männern, am wenigsten von älteren Frauen
Die Unterstützung für das städtische Planungskonzept ist bei den jüngsten Befragten am höchsten und geht mit steigendem Alter drastisch zurück. Von den 15-25-Jährigen begrüßen 45 Prozent den Bau eines großen Einkaufzentrums. Der Spitzenwert wird hier bei jungen Männern erreicht, von denen sich sogar die Mehrheit mit 53 Prozent für das Großprojekt ausspricht. Junge Frauen sind mit 43 Prozent deutlich zurückhaltender.
In der Altersgruppe der 26- bis 40-Jährigen sinkt die Zustimmungsrate bereits auf 36 Prozent. Nur noch 28 Prozent der 41- bis 50-Jährigen und 23 Prozent der 51- bis 65-Jährigen befürworten die städtischen Pläne. In der höchsten Altersgruppe unterstützen schließlich nur noch 17 Prozent die Errichtung eines großen Shopping-Zentrums. Das Minimum wird in der Gruppe der über 65-jährigen Frauen mit 13 Prozent erreicht, während sich von den gleichaltrigen Männern immerhin noch 23 Prozent für das vom Stadtrat beschlossene Konzept aussprechen.
Fast eine Drittel der Innenstadtbesucher wünscht kleineres Einkaufszentrum
Die Meinung, dass in der Mainzer Ludwigsstraße ein wesentlich kleineres Shopping-Zentrum errichtet werden sollte, wird von 32 Prozent der interviewten Passanten vertreten. Relevante Unterschiede sind auch hier vor allem in Abhängigkeit vom Alter festzustellen. In der jüngsten Altersgruppe schließen sich nur 24 Prozent dieser Auffassung an. Die Quote steigt über 30 Prozent und 32 Prozent auf das Maximum von 39 Prozent bei den 51- bis 65-Jährigen. Ein leichter Rückgang ist dann in der höchsten Altersgruppe festzustellen, wo sich 34 Prozent für ein wesentlich kleineres Einkaufszentrum aussprechen.
39 Prozent der Passanten lehnen neues Shopping-Zentrum ab
Die größte Gruppe der Innenstadtbesucher vertritt mit einem Anteil von 39 Prozent die Auffassung, dass in der Ludwigsstraße kein Einkaufszentrum errichtet werden sollte. Relevante Unterschiede treten auch hier wieder in Abhängigkeit vom Alter auf: von 32 Prozent in der jüngsten Altersgruppe über 34 Prozent bis zu 40 Prozent bei den 41- bis 50-Jährigen. Nach einem leichten Rückgang auf 38 Prozent steigt dann die Quote weiter auf 48 Prozent unter den ältesten City-Besuchern. Das Maximum wird bei den über 65-jährigen Frauen erreicht, von denen sogar 54 Prozent der Ansicht sind, dass kein Einkaufszentrum in der Ludwigsstraße errichtet werden sollte.
Abnahme der Einzelhändler, die Shopping-Zentrum befürworten
Bereits bei den Untersuchungen im Jahr 2011 waren die Betriebsleiter der Geschäfte in der Mainzer Innenstadt gefragt worden: "Was halten Sie von der Errichtung eines neuen Einkaufszentrums in der Ludwigstraße? Befürworten Sie den Bau dieses Einkaufszentrums, sind Sie dagegen, oder ist es Ihnen egal?" Damals hatte sich fast die Hälfte (49 Prozent) der Befragten für das Großprojekt ausgesprochen. Jeder Dritte (34 Prozent) lehnte den Bau des Einkaufszentrums ab. Den restlichen 17 Prozent der Geschäftsleiter war es egal, ob das Projekt realisiert wird oder nicht.
Bei der aktuellen Studie wurde die Fragestellung leicht modifiziert: "Was halten Sie von den gegenwärtigen Plänen der Stadtverwaltung und des Stadtrats zur Errichtung eines neuen Einkaufszentrums in der Ludwigsstraße? Befürworten Sie den Bau dieses Einkaufszentrums, sind Sie dagegen, oder ist es Ihnen egal?"
Der Anteil der Befürworter des Großprojekts ist unter den Einzelhändlern seit 2011 um 8 Prozentpunkte auf 41 Prozent zurückgegangen. Von ihnen sprechen sich nicht mehr als 21 Prozent uneingeschränkt für die städtischen Pläne aus. Von deren Realisierung erwarten sie vor allem eine Attraktivitätssteigerung von Mainz, eine Belebung der Innenstadt und eine Zunahme der Kunden aus dem Umland. Die übrigen 20 Prozent befürworten die Errichtung des Shopping-Zentrums nur unter bestimmten zusätzlichen Bedingungen. Dies betrifft insbesondere die Reduzierung der Verkaufsfläche, eine angepasste architektonische Gestaltung und einen attraktiven Branchenmix mit vielen neuen Marken ohne Doppelung der bereits bestehenden Filialgeschäfte.
Größte Gruppe der Geschäftsleiter lehnt Einkaufszentrum ab
Die Gegner des Einkaufszentrums haben inzwischen die Befürworter überholt. Durch einen Anstieg um 9 Prozentpunkte bilden sie mit 43 Prozent die stärkste Gruppe unter den befragten Einzelhändlern.
Als Hauptgründe für die Ablehnung werden die Konkurrenz durch das zusätzliche Warenangebot und die Verlagerung der Passantenströme in Richtung Einkaufszentrum zulasten des eigenen Standorts genannt. Andere Geschäftsleiter befürchten, dass die Individualität und das Flair der Innenstadt verloren gehen, die Filialisierung auf Kosten des inhabergeführten Einzelhandels zunehmen wird und die Geschäftsleerstände ansteigen. Deshalb sollte besser das Bestehende erhalten werden, statt ein neues Großprojekt zu bauen.
16 Prozent der Geschäftsleiter ist es egal, ob das Einkaufzentrum gebaut wird oder nicht. Die Betreffenden gehen davon aus, dass ihre geschäftlichen Aktivitäten durch die kräftige Ausweitung des Warenangebots in der City in keiner Weise beeinträchtigt werden. In der Regel bieten sie Nischenprodukte an und versorgen insbesondere Stammkunden.
Mehr Umsatzeinbußen als -steigerungen erwartet
Die Einzelhändler wurden auch gefragt: "Erwarten Sie nach Errichtung des neuen Einkaufszentrums Auswirkungen auf den Umsatz Ihres Betriebs hier an diesem Standort?". 41 Prozent der Geschäftsleiter nahmen an, dass sich das neue Shopping-Center nicht auf ihren Umsatz auswirken würde. 16 Prozent erklärten, dass die Auswirkungen des Großprojekts nicht vorhersehbar seien. Umsatzeinbußen befürchteten 29 Prozent der Einzelhändler, davon 11 Prozent geringe, 12 Prozent erhebliche und 6 Prozent existenzgefährdende Rückgänge ihres Umsatzes. Dagegen erwarteten nur 14 Prozent der Geschäftsleiter einen Anstieg ihrer Umsätze.
Weitere Überzeugungsarbeit für Großprojekt erforderlich
Insgesamt ist festzustellen, dass das vom Stadtrat verabschiedete Konzept für den Bau eines neuen Einkaufszentrums in der Mainzer Ludwigsstraße bei den Untersuchungen im Mai 2013 weder von den interviewten einheimischen und auswärtigen Innenstadtbesuchern noch von den Einzelhändlern mehrheitlich befürwortet und unterstützt wurde.
Inzwischen ist die Diskussion weitergegangen und neue Verhandlungsergebnisse mit dem Investor ECE liegen vor. Hier konnte sich die Stadt mit ihren Zielvorstellungen auf der Basis einer umfassenden Bürgerbeteiligung weitestgehend durchsetzen und ein Ergebnis erzielen, bei dem der Investor bis an die Grenze des wirtschaftlich Vertretbaren gegangen ist. Dieses ökonomisch sinnvolle Projekt, dessen Realisierung einen Meilenstein für eine zukunftsorientierte City-Entwicklung bedeutet, beinhaltet jedoch auch Risiken und sollte von der Mehrheit der Mainzer Bevölkerung getragen werden. Hier ist von Seiten der Politik und der Projektbefürworter insgesamt noch in erheblichem Maße Überzeugungsarbeit zu leisten.