Katholische Theologie erstellt Handbuch aller Jesuiten zentraleuropäischer Herkunft / Abkehr von eurozentrischer Missionsgeschichte
05.08.2003
Wie sieht die Lebensgeschichte eines deutschen Jesuiten aus, der im 18. Jahrhundert zur Mission nach Lateinamerika kam? Wie war sein Alltag? Was hat er geleistet? Antworten darauf finden sich in einem Handbuch aller Jesuiten zentraleuropäischer Herkunft, die in der frühen Neuzeit bei der Mission in Portugiesisch- und Spanisch-Amerika zum Einsatz kamen. Dieses Handbuch ersetzt ein wertvolles, aber völlig veraltetes Nachschlagewerk aus dem Jahre 1899 und ist mittlerweile für die Ordensprovinzen Brasilien, Chile und Quito fertiggestellt. Für den zweiten Teil mit den Provinzen Neu-Granada, Peru und Paraguay hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) nunmehr dem Leiter des Projekts, Prof. Dr. Johannes Meier vom Seminar für Kirchengeschichte der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU), Mittel in Höhe von rund 120.000 Euro bewilligt.
Mehrere hundert Jesuiten sind im 17. und 18. Jahrhundert aus Zentraleuropa – vor allem aus dem Rheinland, Bayern, Elsass, der Schweiz, Österreich und Böhmen – in die unter portugiesischem und spanischem Patronat stehenden Missionen auf dem amerikanischen Kontinent entsandt worden. Der Jesuitenorden hatte sich nach seiner Gründung im Jahre 1540 sehr schnell zu einer höchst einflussreichen christlich-missionarischen Gruppe entwickelt und brachte das Christentum in die entlegensten Winkel der Erde. Im Todesjahr seines Gründers Ignatius von Loyola (1556) reichte das Wirkungsfeld bereits von Brasilien im Westen über Kongo und Äthiopien im Süden bis nach Japan im Osten. Über ihr religiöses Wirken hinaus erwiesen sich die Jesuiten als treibende Kraft im Kulturkontakt zwischen Europa und den anderen Erdteilen. Sie studierten die unbekannten Sprachen und erstellten Wörterbücher und Grammatiken. "Sie wurden so zu Wegbereitern des interkulturellen Austausches", erklärt Professor Meier die Bedeutung der Missionare. Das neue Handbuch versteht sich denn auch nicht als reines Nachschlagewerk, sondern leitet einen Paradigmenwechsel ein, bei dem sich die Wissenschaftler von der traditionell eurozentrischen Missionsgeschichte abwenden und den Weg für eine transkontinentale Christentumsgeschichte bereiten.
Besonderes Augenmerk gilt dabei dem Aspekt der Kulturbegegnung. "Bestimmte indigene Sprachen konnten nur durch die Mission bis heute erhalten werden", führt Meier als Beispiel an. Auch die Rolle der Missionare bei der oft grausamen Unterwerfung der eingesessenen Indianervölker durch spanische und portugiesische Eroberer wird einer differenzierten Betrachtung unterzogen. "Die Mission ist vollständig verwickelt in die Gesamtgeschichte", so der Mainzer Kirchenhistoriker. "Aber sie stellte dennoch ein humanisierendes Element dar und half, Schlimmeres zu verhüten."
Dass das Verhältnis von Obrigkeit und Jesuitenmissionaren nicht immer spannungsfrei verlief, zeigt auch die Biographie des Mainzer Anselm Eckart: Dass er ein verkleideter Ingenieur sei. Dass er Kanonen installiert und die ihm unterstellten Indianer aufgewiegelt habe, die portugiesische Staatsverwaltung zu bekämpfen. Dies und noch weiteres warf man dem Jesuitenmissionar vor, als er 1757 aus Brasilien verbannt wurde und im Anschluss daran 18 Jahre in portugiesischen Gefängnissen verbrachte.
Von Brasilien, Chile und Quito wenden die Wissenschaftler nun ihren Blick nach Neu-Granada, Peru und Paraguay. Zunächst werden die in Deutschland zugänglichen Schriften erfasst und zahlreiche Archive zwischen Mainz und Luzern, Trier und Prag nach Quellen durchforstet. Nachforschungen in verschiedenen Archiven in Rom, dann in Spanien und schließlich in Lateinamerika selbst werden im Lauf der nächsten drei Jahre folgen. Das Handbuch wird, so die Erwartungen, zu weiteren kirchen-, kultur- und wissenschaftsgeschichtlichen Einzelforschungen anregen und über die Theologie und Geschichtswissenschaft hinaus auch anderen Disziplinen, wie etwa der Kulturanthropologie und Ethnologie nützlich sein.
Dabei tun sich am Horizont bereits neue Forschungsfelder für die Mainzer Kirchenhistoriker auf: "Eine interessante Entwicklung bahnt sich in China an, wo das Interesse für das Wirken der Jesuiten zunimmt und nun auch Quellen in der Provinz zugänglich werden", erläutert Meier. Eine erste Stipendiatin soll im Herbst dieses Jahres aus China ans Seminar für Kirchengeschichte nach Mainz kommen, um sich in die Quellenrecherche einzuarbeiten.