Neues Forschungsprojekt zur Mentalitätsgeschichte der Wehrmacht am Historischen Seminar

Einstellung und Handeln der Wehrmachtssoldaten während des Zweiten Weltkriegs

20.05.2008

Am Historischen Seminar der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ist vor Kurzem das Forschungsprojekt "Kriegswahrnehmung und Kollektivbiographie. Referenzrahmen von Wehrmachtssoldaten 1942-1945" angelaufen, das von der Fritz Thyssen Stiftung getragen wird und unter der Leitung von Prof. Dr. Sönke Neitzel vom Historischen Seminar der JGU und Prof. Dr. Harald Welzer vom Kulturwissenschaftlichen Institut Essen steht. Als Projektbearbeiter verstärkt mit Dr. Felix Römer ein ausgewiesener Nachwuchshistoriker das Team des Historischen Seminars, der sich in den letzten Jahren mit einer Reihe von Veröffentlichungen zur Geschichte der Wehrmacht, insbesondere zu den deutschen Kriegsverbrechen an der Ostfront während des Zweiten Weltkriegs hervorgetan hat.

Ziel des neuen Projekts ist es, einen grundlegenden Beitrag zu der noch ausstehenden Mentalitätsgeschichte der Wehrmacht zu leisten. Hierzu wird ein besonders ergiebiger, von der Forschung bislang noch nicht genutzter Quellenkorpus herangezogen: die Abhörprotokolle von Gesprächen deutscher Kriegsgefangener in amerikanischem Gewahrsam, die in den Jahren 1942-1945 entstanden sind. Dieser facettenreiche Bestand umfasst mehr als 2.400 Aktenvorgänge mit insgesamt etwa 25.000 Seiten und lagert in den Washingtoner National Archives. Dieses reichhaltige Material wird Felix Römer in einem mehrmonatigen Forschungsaufenthalt in Washington zunächst lückenlos erschließen, bevor die Quellen in einem nächsten Schritt mit dem interdisziplinären Ansatz der Referenzrahmenanalyse ausgewertet werden, einer besonders fruchtbaren Methode an der Schnittstelle zwischen Zeitgeschichtsforschung und Sozialpsychologie. Auf diesem Wege soll rekonstruiert werden, wie die Angehörigen der Wehrmacht zeitgenössische Situationen während des Zweiten Weltkriegs wahrgenommen und gedeutet haben, was nicht zuletzt dazu dient, ihr Entscheidungsverhalten zu ergründen.

Wie sahen ganz normale Soldaten der Wehrmacht die nationalsozialistische Diktatur, ihre Kriegsgegner und die Kriegsverbrechen, wie sahen sie sich selbst? Wie erlebten die Soldaten den Kriegsverlauf, wie veränderte sich ihre Haltung zu Krieg und NS-Diktatur während der heraufziehenden Niederlage, welche Erwartungen hatten sie an die Zeit nach dem Krieg? Auf Fragen wie diese versprechen die einmaligen Quellen aus den amerikanischen Abhörlagern neue Antworten und unser Wissen um das Denken und Handeln der Wehrmachtssoldaten kann so erheblich erweitert werden. Dabei wird das Projekt von einer engen Kooperation mit dem ebenfalls am Historischen Seminar angesiedelten, von der Gerda Henkel Stiftung geförderten Forschungsprojekt "Referenzrahmen des Krieges" profitieren, das Prof. Dr. Sönke Neitzel gemeinsam mit Prof. Dr. Harald Welzer leitet.