Gerda Henkel Stiftung bewilligt Fördergelder in Höhe von 210.000 Euro
03.07.2007
Bücher über den Zweiten Weltkrieg füllen kilometerlange Regale. Schlachten, Feldzüge und unfassbare Verbrechen sind vielfach beschrieben worden. Auch die Erinnerung an die Zeit von 1939-1945 ist mittlerweile gut erforscht. Dennoch gibt es noch immer große Wissenslücken hinsichtlich der Frage, wie die Zeitgenossen damals Krieg und Politik wahrgenommen haben, wie sie über ihn dachten, ihn deuteten. All dies ist kaum bekannt. Tagebücher stehen nur in sehr begrenztem Umfang zur Verfügung, Briefe sind in ihrem Aussagewert meist sehr beschränkt. Ein neues internationales Forschungsprojekt mit dem Titel "Referenzrahmen des Krieges – Ein interdisziplinäres Forschungsprojekt zu Wahrnehmungen und Deutungen von Soldaten der Achsenmächte, 1939-1945", angesiedelt am Historischen Seminar der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU), wird sich mit der Wahrnehmung von Krieg und Diktatur in den Jahren 1939 bis 1945 befassen. Das Projekt wird von der Gerda Henkel Stiftung mit 210.000 Euro gefördert.
Das von dem Mainzer Zeithistoriker Prof. Dr. Sönke Neitzel und dem Essener Sozialpsychologen Prof. Dr. Harald Welzer in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Historischen Institut in Rom geleitete Projekt rekonstruiert erstmals umfassend, wie deutsche und italienische Soldaten den Krieg wahrgenommen haben, indem es einen von der Forschung noch nicht genutzten Quellenkorpus auswertet: die Abhörprotokolle von Gesprächen deutscher und italienischer Kriegsgefangener in britischem Gewahrsam, die in den Jahren 1940 bis 1943/1945 entstanden sind. Dieser ungeheuer facettenreiche, rund 50.000 Seiten umfassende Bestand wird mit dem interdisziplinären Ansatz der Referenzrahmenanalyse erschlossen und ausgewertet.
Das Wissen um die Wahrnehmung der totalitären politischen Systeme in Deutschland und Italien, der Kriegsverbrechen, der Binnenstrukturen der Armeen, der Kriegsgegner, aber auch des erwarteten bzw. befürchteten Kriegsverlaufs und der Nachkriegsfolgen kann anhand dieser Quellen ganz erheblich erweitert werden. Damit erhält die Forschung einen vertieften Einblick in die Art und Weise, wie Menschen Extremerfahrungen von Krieg und Diktatur wahrnehmen und interpretieren – und dies in international vergleichender Perspektive. Das Projekt wird damit einen entscheidenden Beitrag für die Mentalitätsgeschichte des Zweiten Weltkriegs liefern.