Der Ernst Jünger des Zweiten Weltkriegs: einmaliges Tagebuch von der Ostfront
18.08.2011
Vor Kurzem hat am Historischen Seminar der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) ein neues Forschungsvorhaben begonnen: das von der Gerda Henkel Stiftung geförderte Projekt "Die Kriegstagebücher des Theodor Habicht. Nationalsozialisten als Truppenführer in der Wehrmacht". Das neu bewilligte Vorhaben steht unter der Leitung von Prof. Dr. Sönke Neitzel und wird von Dr. Felix Römer bearbeitet. Die beiden Historiker arbeiteten zuvor bereits erfolgreich in dem großen Mainzer Forschungsprojekt zur Mentalitätsgeschichte der Wehrmacht zusammen, aus dem vor Kurzem unter anderem das viel beachtete Buch "Soldaten" hervorging.
Das neue Projekt dient der Erschließung einer bislang unbekannten Quelle, die in einer kommentierten Edition veröffentlicht werden soll: das rund 1.500 Seiten umfassende Tagebuch des prominenten Wiesbadener Nationalsozialisten Theodor Habicht, der von 1941 bis 1944 an der Ostfront als Kompaniechef eingesetzt war. An Laufzeit, Gehalt und Aussagekraft übertrifft dieses an Ernst Jünger erinnernde Tagebuch alle anderen bekannten Selbstzeugnisse von der Ostfront bei Weitem. In seinem Tagebuch brachte Habicht eindringlich zur Sprache, was in vielen anderen privaten Aufzeichnungen weitgehend ausgespart blieb: die alltägliche Gewalt, das Kämpfen, Töten und Sterben, die Kriegsverbrechen, der Kern des Krieges. Es trägt damit zur Schließung einer wichtigen Forschungslücke bei, denn die Perspektive der kleinen Kampfeinheiten und ihrer Truppenführer blieb in der Historiographie aus Mangel an geeigneten Quellen bislang stark unterbelichtet.
Der einmalige Quellenwert des Tagebuchs rührt auch von der Biographie des Autors her, dem im "Dritten Reich" eine geradezu spektakuläre Karriere gelang: Unter anderem fungierte Habicht als NSDAP-Chef in Wiesbaden, Organisator des Attentats auf den österreichischen Bundeskanzler Dollfuß (1934), Oberbürgermeister von Koblenz, Diplomat im Auswärtigen Amt. Wie agierten solche Nationalsozialisten als Truppenführer in der Wehrmacht? Und welche Rolle spielten ideologische Überzeugungen überhaupt im Kriegsalltag? Zu solchen aktuellen Forschungsfragen eröffnet Habichts Tagebuch neue Zugänge. Das Forschungsvorhaben verspricht daher weiterführende Erkenntnisse über die Geschichte der Wehrmacht und ihrer Kriegführung gegen die Sowjetunion.