Carl-Zeiss-Stiftung fördert Aufbau eines neuen Forschungszentrums zur künstlichen Intelligenz an der JGU

Forschungszentrum am Institut für Informatik bindet Biologie, Physik und Polymerforschung ein

05.06.2019

Die Carl-Zeiss-Stiftung fördert die Einrichtung eines neuen Forschungszentrums an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz. In dem neuen Zentrum werden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Bereichen die Grundlagen der künstlichen Intelligenz erforschen. Daran beteiligt sind von Seiten der JGU die Informatik, die Physik und die Biologie sowie das Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz. Das interdisziplinäre Zentrum mit der Bezeichnung "Research Center Emergent Algorithmic Intelligence" hat am 1. April 2019 seine Arbeit aufgenommen. Die Förderung durch die Carl-Zeiss-Stiftung erfolgt im Rahmen der Programmlinie "Durchbrüche 2018" und umfasst eine Gesamtfördersumme von 3 Millionen Euro in den kommenden fünf Jahren.

Der Einsatz von Methoden der künstlichen Intelligenz in ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen hat in den letzten Jahren enorm an Fahrt aufgenommen. Eine zentrale Rolle spielen dabei Methoden des "maschinellen Lernens", bei denen der Computer anhand von Beispielen lernt, komplexe Aufgaben zu lösen. Solche lernenden Systeme können zum Beispiel lernen, Sprache zu erkennen und in Texte zu übertragen oder in eine andere Sprache zu übersetzen, sie können medizinische Aufnahmen analysieren und Krankheiten erkennen oder Videoaufnahmen auswerten, um in einem selbstfahrenden Auto automatisch Hindernisse zu erkennen. In der Wirtschaft und in der Wissenschaft, in der Medizin und bei der Polizei, für Filme und Malerei – die Einsatzmöglichkeiten scheinen nahezu unbegrenzt. Dank leistungsfähiger Computer können lernende Maschinen schon heute erstaunliche Erfolge erzielen. Bei grundlegenden Mustererkennungsproblemen wie der Erkennung von Objekten in Bildern oder der Übersetzung gesprochener in geschriebene Sprache sind die Ergebnisse bereits jetzt oft kaum noch von menschlichen Fähigkeiten zu unterscheiden. "Moderne maschinelle Lernverfahren erlauben uns heute, viele Probleme mit dem Rechner zu lösen, die vor wenigen Jahren noch ohne jeden Zweifel allein dem Menschen vorbehalten schienen", erklärt Prof. Dr. Michael Wand vom Institut für Informatik der JGU.

Maschinelle Lernverfahren entdecken Muster in natürlichen Daten

In dem neuen Forschungszentrum werden Wand und seine Kolleginnen und Kollegen dem Phänomen nachgehen, warum diese neuen Systeme so erfolgreich sind. "Wir wissen natürlich genau, wie die Systeme funktionieren, aber warum sie so gut funktionieren, ist immer noch rätselhaft", bemerkt Wand. Die großen Fortschritte der letzten Jahre beruhen vor allem auf sogenannten tiefen künstlichen neuronalen Netzen. Diese Netze sind äußerst grobe und stark vereinfachte Nachbildungen biologischer neuronaler Netze. Kernidee ist, dass zunächst einfache Muster erkannt werden und diese dann nach und nach, über mehrere Stufen zu komplexeren Mustern zusammengefügt werden – je mehr Stufen, desto "tiefer" das Netz. Die genaue Verschaltung dieser Netzwerke wird aus Trainingsbeispielen gelernt; Verbindungen werden Schritt für Schritt gestärkt, wenn sie auf den bekannten Trainingsbeispielen bessere Ergebnisse liefern können.

Hier stellt sich eine grundsätzliche Frage: Lernen aus Beispielen ist nur möglich, wenn die gelernten Muster aus einer relativ kleinen Auswahl stammen. Anders formuliert: Um zu generalisieren, also von den begrenzten Trainingsbeispielen mit hoher Genauigkeit auf eine Gesamtheit zu schließen, müssen die Daten eigentlich statistisch ähnlich sein, und dieses Vorwissen muss in das Lernverfahren, zum Beispiel in das "tiefe Netz", bereits eingebaut sein, sonst würden sie nicht funktionieren. "Welche Muster natürliche Daten gemeinsam haben und wie neuronale Netze dieses Vorwissen ausnutzen, ist immer noch eine offene wissenschaftliche Frage", so Wand.

Günstige Rahmenbedingungen für das neue Forschungszentrum in Mainz

Das Forschungszentrum wird dieser Frage nachgehen und mit seinem interdisziplinären Ansatz untersuchen, ob man allgemeine statistische Grundmuster finden kann, die in natürlichen Vorgängen verborgen sind und ob bzw. wie moderne maschinelle Lernverfahren diese Muster zum Lernen nutzen. Das Projekt beruht zunächst auf drei Säulen: der statistischen Physik, der evolutionären Biologie und den Materialwissenschaften. Zum Beispiel wird die statistische Physik untersuchen, ob die bekannten Gesetze der Physik auf atomarer Ebene bestimmte Muster auf makroskopischer Ebene bevorzugt erzeugen. Gleichzeitig wird nach Ähnlichkeiten zwischen den Adaptationsmechanismen der Biologie und den Lernstrukturen beim maschinellen Lernen gesucht. Die Materialwissenschaften streben an, ohne Computer kognitive Prozesse nachzubilden, beispielsweise direkt mit magnetischen Schaltkreisen ("Spintronics") oder Biomolekülen. Hier spielen Effekte von Selbstorganisation eine zentrale Rolle, die mit der Frage von Musterbildung eng verbunden sind.

Langfristiges Ziel ist es, weitere Forschungsfelder einzubeziehen und sich damit der Frage nach dem Wesen von natürlichen Mustern und ihren Gemeinsamkeiten zu nähern. Die Gruppe hofft damit die Grundlagen zu legen, um einerseits noch bessere maschinelle Lernverfahren zu entwickeln und andererseits vielleicht das Phänomen der Intelligenz besser zu verstehen. Das Team um Prof. Dr. Michael Wand sowie Dr. Karin Everschor-Sitte vom Institut für Physik, Prof. Dr. Susanne Gerber vom Institut für Entwicklungsbiologie und Neurobiologie und Dr. Tristan Bereau vom Max-Planck-Institut für Polymerforschung, Mainz erhält Unterstützung durch das Zentrum für Datenverarbeitung der JGU, insbesondere durch den Mainzer Hochleistungsrechner MOGON II. Auch die traditionell sehr starken Natur- und Lebenswissenschaften der Universität Mainz, in Verbindung mit dem in diesem Umfeld gezielt auf Data Science, also maschinelles Lernen und Big Data, ausgerichteten Institut für Informatik liefern exzellente Rahmenbedingungen für das neue Forschungszentrum.