Sprachfähigkeit des Menschen steht im Mittelpunkt der Vorlesungsreihe 2010
15.04.2010
Können Tiere reden? Schreien französische Babies anders als deutsche? Was haben Fahrradfahren und Sprechen gemeinsam? Fragen wie diese stehen im Mittelpunkt eines der spannendsten interdisziplinären Forschungsgebiete unserer Zeit – der Sprachforschung. Führende Expertin auf diesem Gebiet ist in Deutschland Prof. Dr. phil. Angela D. Friederici, Germanistin, Psychologin und Hirnforscherin, Direktorin des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig. Die international renommierte Neuropsychologin ist Inhaberin der Johannes Gutenberg-Stiftungsprofessur 2010 der "Freunde der Universität Mainz e.V.". In ihrer Veranstaltungsreihe wird sie sich gemeinsam mit prominenten Persönlichkeiten mit der Thematik "Sprache und Gehirn – Zur Sprachfähigkeit des Menschen" auseinandersetzen.
"Wir freuen uns ganz besonders, dass es uns gelungen ist, diese international anerkannte Expertin auf dem Gebiet der Informationsverarbeitung im Gehirn für die 11. Johannes Gutenberg-Stiftungsprofessur zu gewinnen", erklärt Dr. Klaus Adam, Vorsitzender der Vereinigung der "Freunde der Universität Mainz e.V." "Frau Professor Angela Friederici hat die Entschlüsselung des Zusammenhangs von Sprache und Gehirn zu ihrem Lebensthema gemacht. Mit ihr hat eine Frau die Stiftungsprofessur inne, die mit Hilfe eines multidimensionalen Ansatzes die neuronalen Grundlagen der Sprache erforscht und so dem Anspruch unserer Stiftungsprofessur auf Internationalität und Interdisziplinarität in geradezu idealer Weise gerecht wird."
Die Vorlesungen werden die neurobiologischen Grundlagen von Sprache darstellen und ihre Entwicklung im Kindesalter aufzeigen. Sie erklären, weshalb das Sprachlernen bei Erwachsenen so schwer ist, und erörtern, inwiefern der Mensch sich in seinen kommunikativen Fähigkeiten vom Affen unterscheidet und was die genetischen Grundlagen sein mögen. Darüber hinaus wird der Frage nachgegangen, wie der Mensch Sprache einsetzt, um eine bestimmte Wirkung beim Zuhörer oder Leser zu erzielen. Aspekte von Evolution und Genetik werden ebenfalls einbezogen. So setzt sich die Vorlesungsreihe mit einem Thema auseinander, das nicht nur Neurologen und Linguisten interessiert, sondern z.B. auch für die Lernforschung, die Evolutionsbiologie, die Computerwissenschaften, die Medizin oder Philosophie relevant ist.
Um die aktuellsten Ergebnisse und Debatten darzustellen, hat die Professorin als Gastrednerinnen und Gastredner international führende Experten auf diesem Gebiet eingeladen:
- Kristina Schröder, seit 30. November vergangenen Jahres Bundesministerin für Familien, Senioren, Frauen und Jugend und in dieser Funktion u.a. verantwortlich für die frühkindliche Förderung und Sprachentwicklung als Voraussetzung für Bildungs- und Chancengleichheit.
- Simon E. Fisher ist Humangenetiker an der Universität Oxford und dem dortigen Wellcome Trust Centre for Human Genetics. Der Experte für kindliche Lernschwierigkeiten entdeckte u.a. eine Genmutation (FOXP2), die sich negativ auf die Sprachentwicklung auswirkt und sogar bei Tieren die Kommunikation beeinflusst. Seit dem Jahr 2002 erforscht er in seinem Labor die Abhängigkeit des Spracherwerbs von genetischen Faktoren, die sich auf verschiedenste Bereiche des Gehirns auswirken können.
- Peter Bieri, Schweizer Philosoph und renommierter Schriftsteller (unter dem Namen Pascal Mercier), war bis zum Jahr 2007 Professor für Sprachphilosophie an der Freien Universität Berlin und ist einer der Mitbegründer des Forschungsschwerpunkts der DFG "Kognition und Gehirn". Er verbindet seine Leidenschaft für Literatur mit Fragen des Zusammenhangs zwischen Sprache, Selbsterkenntnis, Bewusstsein und Selbstbestimmung.
- Julia Fischer, als international bekannte Primatenexpertin und Professorin für Kognitive Ethologie an der Universität Göttingen spezialisiert auf die Erforschung des Wechselspiels von Kommunikation und sozialem Lernen bei Affen, untersucht auch den Einfluss evolutionärer Faktoren auf die Lautgebung der Tiere. Im "Baboon Camp" in Botswana beobachtete sie die Kommunikation freilebender Paviane.
"Das Ziel der 11. Veranstaltungsreihe der Stiftungsprofessur besteht darin aufzuzeigen, wie erhellend die Verknüpfung von neurowissenschaftlicher Forschung und sprachwissenschaftlichen Fragestellungen für das Verstehen von Sprache ist", erläutert Prof. Dr. Andreas Cesana, Vorsitzender der Stiftung "Johannes Gutenberg-Stiftungsprofessur", das Anliegen der Organisatoren. Und er fügt hinzu: "Im Zentrum von Frau Friedericis interdisziplinär arbeitendem Forschungsbereich steht zum einen die Frage, wie das menschliche Gehirn die äußerst komplexe Aufgabe, Sprache zu verarbeiten, bewältigt. Zum anderen geht es darum, Spracherwerb und Entwicklung von Sprache aus neurowissenschaftlicher Sicht zu analysieren." Das Publikum dürfe sich auf spannende und intensive Abendveranstaltungen mit einer Stiftungsprofessorin freuen, die von ihrem Forschungsgegenstand seit ihrer Studienzeit begeistert sei und die dem Publikum Einblicke in das faszinierende Zusammenspiel von Sprache und Gehirn vermitteln möchte.
Prof. Dr. Angela D. Friederici, in Köln geboren, kann auf eine Bilderbuchkarriere zurückblicken. Nach dem Studium der Germanistik, Romanistik, Sprachwissenschaften und Psychologie in Bonn und Lausanne habilitierte sie sich 1986 in Psychologie an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Sie forschte u. a. am Massachusetts Institute of Technology (MIT), am Department of Psychology, Cambridge, MA, USA, und am Aphasia Research Center, V.A. Medical Center und Department of Neurology, Boston University School of Medicine, MA, USA, wie auch am Max-Planck-Institut für Psycholinguistik, Nijmegen, Niederlande, oder der Université René Descartes, Laboratoire de Psychologie Experimentale, Paris. 1989 übernahm sie eine Universitätsprofessur für das Fachgebiet Psychologie (Schwerpunkt Kognitionswissenschaft) an der Freien Universität Berlin, 1991 wurde sie Universitätsprofessorin für Allgemeine Psychologie an der Freien Universität Berlin. Seit 1994 arbeitet sie am Max-Planck-Institut für neuropsychologische Forschung in Leipzig (seit 2004 Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften) als Gründungsdirektorin, Wissenschaftliches Mitglied und Mitglied im Kollegium. Von 1996-2007 war sie Direktorin des Zentrums für Kognitionswissenschaften (ZfK) am Zentrum für Höhere Studien (ZHS) der Universität Leipzig. Zudem ist Friederici Honorarprofessorin an den Universitäten Leipzig, Potsdam und der Charité Universitätsmedizin Berlin. Von 2003-2010 war die Neuropsychologin Mitglied des Gesundheitsforschungsrats des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), von 2006-2009 Vorsitzende des Wissenschaftlichen Rates sowie von 2002-2009 Mitglied des Senats der Max-Planck-Gesellschaft. Sie erhielt u. a. den Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis der DFG (1997) und wurde 2000 zum Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher "Leopoldina" (seit 2008 Nationale Akademie der Wissenschaften), 2007 zum Mitglied der Academia Europaea berufen.
Öffnung der Universität: Akzeptanz in der Öffentlichkeit
Die Mainzer Stiftungsprofessur ist herausragenden Wissenschaftlern und Persönlichkeiten von internationalem Renommee vorbehalten: Die Johannes Gutenberg-Stiftungsprofessur der Vereinigung der Freunde soll das Ansehen und die Attraktivität der Universität über die Landesgrenzen hinaus fördern und neue Akzente setzen. "Mit ihrem Temperament, ihrer Eloquenz und ihrer Leidenschaft für ihr Forschungsgebiet ist Angela Friederici hervorragend geeignet, wissenschaftliche Themen im Dialog der Bevölkerung anschaulich und doch auf hohem Niveau zu vermitteln. Ich bin sicher, dass die Johannes Gutenberg-Stiftungsprofessur 2010 erneut die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit – national und international – auf sich ziehen und damit maßgeblich zum Ansehen der Universität Mainz beitragen wird", betont der Präsident der Johannes Gutenberg-Universität, Prof. Dr. Georg Krausch.
Eingerichtet hat die "Vereinigung der Freunde" die Stiftung "Johannes Gutenberg-Stiftungsprofessur" aus Anlass des 600. Geburtstags von Johannes Gutenberg im Jahr 2000. Inhaber der Stiftungsprofessur waren der Kulturhistoriker und Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels Fritz Stern (2000), der führende Vertreter der Evolutionsbiologie und Pionier der Soziobiologie Bert Hölldobler (2001), der frühere Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher (2002), der ehemalige Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung Wolfgang Frühwald (2003), der ehemalige Exekutiv-Direktor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) Klaus Töpfer (2004), der Komponist und Dirigent Peter Ruzicka (2005), der Wiener Experimentalphysiker Anton Zeilinger (2006), der Immunologe Fritz Melchers (2007), der Literatur- und Sozialwissenschaftler Jan Philipp Reemtsma (2008) und Karl Kardinal Lehmann (2009).