Mainzer Anthropologen berechnen gemeinsam mit französischen und englischen Kollegen die Größe der ersten domestizierten Kuhherde
29.03.2012
Einer neuen genetischen Studie zufolge stammen unsere Hausrinder von lediglich 80 wilden Auerochsen ab, die vor 10.500 Jahren im Nahen Osten domestiziert wurden. Zu diesem Ergebnis kommt ein internationales Team von Wissenschaftlern der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU), dem französischen Forschungszentrum CNRS, dem Pariser Museum für Naturgeschichte und dem University College in London. Die Gruppe untersuchte erstmals DNA aus Knochenresten von Rindern, die aus archäologischen Ausgrabungen im Iran stammen. Die Fundorte datieren in die Zeit kurz nach der Erfindung von Ackerbau und Viehhaltung und stammen aus der Region, in der Rinder erstmals domestiziert wurden.
Das Team hat die Sequenzen der archäologischen Proben mit denen heutiger Rinder verglichen. Dabei fand es kleine Unterschiede zwischen den Populationen und prüfte in der Folge verschiedene Szenarien, um diese Unterschiede zu erklären. Mit Computersimulationen wurden die möglichen Entwicklungen im Laufe der Geschichte nachgespielt. Dabei entdeckten die Wissenschaftler, dass die geringen genetischen Unterschiede nur zu erklären sind, wenn lediglich 80 der wilden Auerochsen die Vorfahren unserer heutigen Hausrinder waren. Die Studie ist in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Molecular Biology and Evolution erschienen.
Die Erstautorin der Studie, Dr. Ruth Bollongino vom Institut für Anthropologie der JGU und dem CNRS in Paris, sagt dazu: "Inzwischen ist es Routine, glaubwürde DNA-Sequenzen aus Permafrost-Proben zu gewinnen. Daher gehört das Mammut zu den ersten Spezies, deren Genom sequenziert wurde. Aufgrund der schlechten DNA-Erhaltung ist es aber wesentlich schwieriger, die Erbsubstanz von Knochen aus warmen Klimazonen wie dem Iran zu untersuchen. Wir mussten daher extrem vorsichtig sein, um keine Kontaminationen durch moderne Rinder-DNA zu sequenzieren."
Die Anzahl der domestizierten Tiere ist von großer Bedeutung für die Erforschung der Geschichte unserer Haustiere. Prof. Mark Thomas, Genetiker am University College in London, merkt an, dass dies eine erstaunlich geringe Anzahl an Rindern sei. "Wir wissen von archäologischen Überresten, dass die wilden Vorfahren der Hausrinder, die Auerochsen, in Asien und Europa vorkamen. Es hätte daher viele Gelegenheiten gegeben, die Wildrinder zu domestizieren."
"Die Auerochsen sind nicht mit den zahmen und umgänglichen Hausrindern von heute vergleichbar. Die Tiere in Gefangenschaft zu halten, war schon ein schwieriges Unterfangen. Sie dann langfristig erfolgreich zu zähmen und zu züchten, muss eine echte Herausforderung gewesen sein", fügt Prof. Dr. Joachim Burger von der JGU an.
Archäologische Untersuchungen an prähistorischen Tierknochen zeigten, dass nicht nur Rinder, sondern auch Ziegen, Schafe und Schweine erstmalig im Nahen Osten domestiziert worden sind. Die Anzahl der ursprünglich gefangenen Wildtiere zu bestimmen, ist schwierig. Dabei kann die Genetik oft helfen, das von der Archäologie vorgezeichnete Bild zu vervollständigen, insbesondere wenn die DNA von den prähistorischen Proben selbst stammt. Dr. Jean-Denis Vigne, Bioarchäologe beim CNRS in Paris und Co-Autor dazu: "In dieser Studie ermöglicht es uns die genetische Analyse, Fragen zu beantworten, die sich Archäologen bisher noch nicht einmal zu stellen trauten." Eine geringe Anzahl an Vorfahren bei den Hausrindern deckt sich mit Erkenntnissen aus der Archäologie. Demnach gibt es Hinweise auf die frühe Domestikation des Rinds nur aus einer kleinen Region zwischen Südostanatolien und Syrien vor 10.500 Jahren. In dieser Gegend waren die Menschen sesshaft. Möglicherweise ist dies die Erklärung, warum die Rinderzucht gerade hier in dieser überschaubaren Region letztendlich im kleinen Maßstab erfolgt ist.
Dr. Marjan Mashkour vom Pariser CNRS arbeitet als Archäozoologin im Nahen und Mittleren Osten und fügt hinzu: "Die Studie unterstreicht die Bedeutung der Fundorte in bisher weniger beachteten Regionen wie dem Iran. Ohne unsere Daten aus dem Iran hätten wir kaum zu diesem Ergebnis kommen können, obwohl die Rückschlüsse eine globale Gültigkeit haben."