Neuartiges Verfahren zur Therapie des Usher-Syndroms soll möglichst zeitnah zur Anwendung am Patienten kommen
22.06.2011
Das Usher-Syndrom ist mit einer Häufigkeit von 1:6.000 bis 1:800 die häufigste Form angeborener Taub-Blindheit des Menschen. Es ist eine rezessiv vererbte Krankheit, die klinisch und genetisch sehr heterogen ist. Im dramatischsten Fall werden die Patienten taub geboren und leiden ab der Pubertät an einer Degeneration der Netzhaut, die zur völligen Erblindung führt. Für die Betroffenen bedeutet diese Krankheit eine große Einschränkung im alltäglichen Leben. Während der Gehörverlust mit Hörgeräten und Cochlea-Implantaten ausgeglichen werden kann, gibt es bislang noch keine Therapiemöglichkeit für das Auge. Wissenschaftler der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) haben nun einen neuen Therapieansatz für die Krankheit nachgewiesen.
In vorangegangenen Studien erarbeitete das Forschungsteam um Prof. Dr. Uwe Wolfrum vom Institut für Zoologie der JGU grundlegende Erkenntnisse über die molekularen Prozesse und Mechanismen, die zu dieser schwerwiegenden Erkrankung führen. Auf die Ergebnisse dieser erfolgreichen Grundlagenforschung aufbauend, evaluiert das Mainzer Usher-Therapieteam um Dr. Kerstin Nagel-Wolfrum potenzielle Therapiemöglichkeiten für das Auge. Hierbei liegt ein Fokus auf einer Mutation, die in einer deutschen Familie zu der schwerwiegendsten Form des Usher-Syndroms geführt hat. Bei dieser Mutation handelt es sich um eine sogenannte Nonsense-Mutation im USH1C-Gen, bei der ein Stoppsignal in der DNA entsteht und folglich die Proteinsynthese vorzeitig abgebrochen wird.
Das Mainzer Forschungsteam hat in der Fachzeitschrift Human Gene Therapy nun seine neuesten Arbeiten zu den pharmakogenetischen Therapieansätzen für die Behandlung von Usher-Syndrom-Patienten mit Nonsense-Mutationen publiziert. Die Forschenden konnten zeigen, dass ein kleines Molekül namens PTC124 (Ataluren®) das Überlesen des Stoppsignals im mutierten USH1C-Gen auslöst und dadurch die Proteinsynthese weiterläuft und das funktionelle Genprodukt in den Zell- und Organkulturen hergestellt wird. Der Wirkstoff PTC124 zeigte in der Studie neben seiner Überleseeigenschaft auch eine hervorragende Verträglichkeit in Netzhautkulturen der Maus und des Menschen. Zudem gelang es dem Team erstmals, das Überlesen einer Mutation im Auge in vivo nachzuweisen.
"PTC124 wird bereits bei anderen durch Nonsense-Mutationen bedingten Krankheiten wie der cystischen Fibrose oder der Duchenne-Muskeldystrophie in klinischen Studien getestet. Daher hoffen wir, dass dieser Therapieansatz in naher Zukunft auch für Usher-Syndrom-Patienten eingesetzt werden kann", erklärt Dr. Kerstin Nagel-Wolfrum.
Derzeit vergleicht Tobias Goldmann in abschließenden Arbeiten zu seiner Doktorarbeit die Effizienz der Überleserate und die Biokompatibilität weiterer Moleküle, die das Überlesen von Nonsense-Mutationen induzieren. Dabei stehen insbesondere modifizierte Aminoglykoside, Abkömmlinge von handelsüblichen und klinisch erprobten Antibiotika, im Vordergrund. Diese werden vom israelischen Kooperationspartner Prof. Dr. Timor Bassov vom Technicon in Haifa designt und synthetisiert und wurden von den Mainzer Forschern bereits erfolgreich zum Überlesen von Nonsense-Mutationen in Usher-Genen eingesetzt. Neben weiterführenden präklinischen Untersuchungen zur Anwendung der Wirkstoffe im Auge plant das Mainzer Usher-Labor, das neuartige Verfahren zur Therapie des Usher-Syndroms möglichst zeitnah in die Klinik direkt zum Patienten zu bringen.
Die translationalen biomedizinischen Forschungsarbeiten zum Überlesen der Nonsense-Mutationen zur Therapie des Usher-Syndroms wurden dank der Fördermittel der FAUN-Stiftung, des EU-Projekts "Syscilia" und des Graduiertenkollegs "Entwicklungsabhängige und krankheitsinduzierte Modifikationen im Nervensystem" (GRK 1044) der Deutschen Forschungsgemeinschaft durchgeführt und sind seit Kurzem in den Mainzer Forschungsschwerpunkt "Translationale Neurowissenschaften" (FTN) integriert.