Universitätsmedizin Mainz an deutschlandweiter multizentrischer Befragungsstudie beteiligt
24.03.2017
Frauen, die Fluchterfahrungen hinter sich haben, sind bei ihrer Ankunft in Deutschland häufig in einem sehr schlechten körperlichen und seelischen Zustand. Sie bedürfen einer psychosozialen Betreuung und/oder therapeutischer Behandlung. Den Bedarf für eine psychosoziale Versorgung geflüchteter Frauen zu erfassen, die in Deutschland Schutz suchen, war das Ziel eines multizentrischen Forschungsprojekts. An dieser Studie war auch das Institut für Arbeits-, Sozial und Umweltmedizin der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) beteiligt. Ergebnisse der unter der Leitung der Charité in Berlin durchgeführten Studie wurden heute an der Universitätsmedizin Mainz vorgestellt. Dabei richtete sich der Fokus speziell auf die Situation in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt.
Von den in Mainz in Gemeinschaftsunterkünften für Asylsuchende lebenden, geflüchteten Frauen aus der Zielgruppe, waren von Oktober 2016 bis Januar 2017 92 Frauen bereit, über ihre Situation und ihre Erfahrungen mit den Forschern zu sprechen. Zur Zielgruppe der Studie gehörten ausschließlich volljährige Frauen aus Ländern mit einer hohen Bleibewahrscheinlichkeit, zu denen Afghanistan, Eritrea, Iran, Irak, Somalia und Syrien zählen. Viele von ihnen berichteten über sequentielle traumatische Erlebnisse vor und während der Flucht, aber auch über Belastungen, die in Rheinland-Pfalz für sie bestehen. Hier spielt vor allem die Unsicherheit im Hinblick auf die Zukunft eine wichtige Rolle. Darüber hinaus wirken sich die Trennung von Kindern, Ehemännern und anderen Familienmitgliedern sowie das Leben in der Gemeinschaftsunterkunft belastend auf diese Frauen aus. Ein Großteil der Frauen berichtet von seelischen und körperlichen Beschwerden, die ihre aktuelle Lebenssituation beeinflussen und einer medizinischen und/oder psychologischen Betreuung bedürften. Sie stellen oft ein Hindernis der aktiven Teilhabe der asylsuchenden Frauen an der deutschen Gesellschaft dar, für dessen Überwindung soziale, medizinische und/oder therapeutische Unterstützung notwendig ist.
Eine Besonderheit der Mainzer Erhebung ist ein zusätzlicher Fokus auf das medizinische Versorgungsgeschehen. So berichten 36 Frauen – also mehr als jede dritte Frau –, dass sie psychologischer oder medizinischer Unterstützung bedürfen, um mit dem Erlebten und der aktuellen Situation umgehen zu können. Nur sieben der insgesamt 92 Frauen hatten bisher die Möglichkeit, mit einem Arzt oder Psychologen zu sprechen. Zugangsbarrieren, die Frauen häufig nennen, sind Probleme bei der Finanzierung, der Überwindung der Sprachbarriere und lange Wartezeiten, aber auch die Ratlosigkeit bezüglich des richtigen Ansprechpartners. Etwas mehr als jede zweite Frau war in Deutschland bereits in gynäkologischer Behandlung. Häufigster Anlass waren hier akute Erkrankungen gefolgt von der Schwangerschaftsabklärung und Vorsorgeuntersuchungen für Schwangere. Die Inanspruchnahme von Krebsvorsorgeuntersuchungen wurde kaum berichtet, obwohl sie auch im Leistungsspektrum des Asylbewerberleistungsgesetzes beinhaltet sind.
Etwa die Hälfte der Frauen gab an, bereits einen positiven Bescheid über das Asylverfahren erhalten zu haben. Damit gilt für sie nicht mehr die Leistungsbeschränkung bezüglich der medizinischen Versorgung im Asylbewerberleistungsgesetz. Von den verbleibenden Frauen müsste ein großer Teil aufgrund der geschilderten Erlebnisse, gemäß EU-Aufnahmerichtlinie (2013/33/EU) als besonders schutzbedürftig gelten. Die psychischen Belastungen, die aus diesen Situationen resultieren, sollten auch im Rahmen des AsylbLG mit Hilfe von Sprachmittlern angegangen werden. Die Studie zeigt auf, dass dies in der Praxis oft noch nicht gelingt.
Zugleich zeigten viele Frauen aktive Bewältigungsstrategien im Umgang mit ihren seelischen Belastungen. Auch den Austausch mit den Interviewerinnen und vor allem untereinander im Fokusgruppengespräch empfanden die Frauen als sehr entlastend. Hier zeigt sich ein Potential zur Selbsthilfe und zur gegenseitigen Unterstützung, das dringend gefördert werden sollte. Hierfür sei es laut den Initiatoren der Studie angeraten, Austauschräume zu schaffen, Gruppenangebote zu generieren und die Frauen zu ermächtigten, selbst zu Akteuren in Hilfenetzwerken zu werden.
"Die Frauen bringen Ressourcen mit und möchten hier ein neues Leben aufbauen, sich in die Gemeinschaft einbringen und Unabhängigkeit erreichen. Damit dies gut gelingen kann, müssen die körperlichen und seelischen Belastungen der Frauen erkannt, Hilfsangebote bereitgehalten und Raum für Mitgestaltung eröffnet werden", erklärt Dr. Renate Kimbel vom Institut für Arbeits-, Sozial und Umweltmedizin der Universitätsmedizin Mainz. "Alle befragten Frauen äußern den Wunsch nach einer dauerhaften Bleibeperspektive mit Familienzusammenführung. Sie wünschen sich Sicherheit für sich und ihre Familien", ergänzt ihre Kollegin, Ulrike Zier.
Gefördert von der Bundesbeauftragten für Migration, Flüchtlinge und Integration, wurde neben Rheinland-Pfalz in vier weiteren Bundesländern (Berlin, Bayern, Hessen und Mecklenburg-Vorpommern) eine Studie zur psychosozialen Lage, den Bedarfen und Erwartungen geflüchteter Frauen in Deutschland durchgeführt. Befragt wurden volljährige Frauen aus Ländern mit hoher Bleibewahrscheinlichkeit, zu denen Afghanistan, Eritrea, Iran, Irak, Somalia und Syrien gehören. Neben einer individuellen Befragung mit Unterstützung muttersprachlicher Interviewerinnen wurden Gruppengespräche mit Frauen aus einem Herkunftsland durchgeführt.