Starke Wechselwirkung und Supercomputer: Mehr Rechenzeit für Mainzer Physiker

Jülicher John von Neumann-Institut für Computing zeichnet Mainzer Projekt als "Exzellenzprojekt 2019" aus

15.11.2019

Das John von Neumann-Institut für Computing (NIC) hat ein von Prof. Dr. Hartmut Wittig vom Institut für Kernphysik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) beantragtes Projekt zu theoretischen Berechnungen der starken Wechselwirkung als "John von Neumann Exzellenzprojekt 2019" ausgewählt. Dotiert ist die Auszeichnung aber nicht etwa mit einem Preisgeld, sondern mit zusätzlicher Rechenzeit an den beiden Supercomputern JUWELS und JURECA BOOSTER, die am Forschungszentrum Jülich betrieben werden.

Rechenzeit als entscheidende Währung

"Für uns als theoretische Physiker ist Rechenzeit die entscheidende 'Währung', um unsere Forschung voranzutreiben", erklärt Wittig, Professor für theoretische Kernphysik und zugleich Sprecher des Mainzer Exzellenzclusters PRISMA+. "Zudem sind wir bei unserem aktuellen Projekt auf extrem leistungsstarke Supercomputer angewiesen, wie sie deutschlandweit nur an sehr wenigen Standorten, wie dem NIC in Jülich, zur Verfügung stehen."

Unter dem Titel "Lattice-QCD with Wilson Quarks at zero and non-zero Temperature" wollen die Mainzer Wissenschaftler zu mehreren Aspekten der starken Wechselwirkung theoretische Vorhersagen treffen. Im Atomkern bindet die starke Wechselwirkung die Quarks als elementare Bausteine der Materie zu Hadronen zusammen und wird durch Gluonen als Austauschteilchen vermittelt. "Wir beschreiben das Kräftespiel zwischen den Quarks mithilfe der Theorie der Quantenchromodynamik (QCD)", erläutert Wittig. "Um diese Vorgänge mathematisch simulieren zu können, greifen wir auf die sogenannte Gitterfeldtheorie zurück." Ähnlich wie in einem Kristall werden die Quarks dabei auf die Punkte eines Raum-Zeit-Gitters oder Lattice verteilt. Mit speziellen Simulationsverfahren lassen sich dann die Eigenschaften von Hadronen unter Einsatz von Supercomputern berechnen.

Auf der Suche nach neuer Physik

Mittels Gitter-QCD will das breit angelegte Projekt der Mainzer Gruppe mehrere Fragen beantworten: In einem Teilprojekt studieren die Physiker die Eigenschaften des Phasenübergangs zwischen hadronischer Materie und einem Plasma bestehend aus Quarks und Gluonen. "Diese Untersuchungen geben Aufschluss über den sogenannten Quarkeinschluss, den wir auch als Confinement bezeichnen", so Wittig. "Damit meinen wir den empirischen Befund, dass die Quarks als Grundbausteine der sichtbaren Materie nie als freie Teilchen beobachtet werden." Eine weitere Fragestellung ist, ob gebundene Zustände von zwei Baryonen, sogenannte Dibaryonen, von der QCD vorausgesagt werden. Experimentell ist bisher nur das Deuteron als Bindungszustand eines Protons und eines Neutrons nachgewiesen. Dieses Teilprojekt ist eine Vorstufe zur Beschreibung leichter Atomkerne im Rahmen der QCD. Im Fokus weiterer Untersuchungen steht darüber hinaus die präzise Berechnung der Beiträge der starken Wechselwirkung zum anomalen magnetischen Moment des Myons. Die beobachtete Diskrepanz zwischen Messung und theoretischer Vorhersage ist aktuell einer der vielversprechendsten Hinweise auf eine mögliche neue Physik jenseits des Standardmodells.