Rückblick auf die Johannes Gutenberg-Stiftungsprofessur 2010 von Angela D. Friederici
18.06.2010
Im November 2009 hatten die Freunde der Johannes Gutenberg-Universität Mainz e.V. die 11. Johannes Gutenberg-Siftungsprofessur an Prof. Dr. Angela D. Friederici, geschäftsführende Direktorin am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig, verliehen. Gemeinsam mit prominenten Gästen setzte sie sich in den vergangenen zwei Monaten in insgesamt 10 Vorlesungen mit dem Thema "Sprache und Gehirn – Zur Sprachfähigkeit des Menschen" mit den verschiedensten Aspekten des Spracherwerbs auseinander. Die Germanistin, Psychologin und Gehirnforscherin gilt auf dem Gebiet der Sprachforschung als in Deutschland führende Expertin. Im Mittelpunkt ihrer Forschung steht die Entschlüsselung des Zusammenhangs von Sprache und Gehirn - ein Thema, das nicht nur Neurologen und Linguisten interessiert, sondern auch für die Lernforschung, die Evolutionsbiologie, die Computerwissenschaft, die Medizin oder Philosophie relevant ist.
Noch vor der eigentlichen Eröffnungsvorlesung von Prof. Dr. Angela D. Friederici empfing sie am 24. März 2010 einen ganz besonderen Gast an der JGU: den amerikanischen Linguisten und Philosophen Noam Chomsky. Der größte Hörsaal des Campus mit 1.000 Sitzplätzen war rasch gefüllt, rund 300 Zuschauer folgten Chomskys Vortrag über die Leinwand im Vorraum des gefüllten Hörsaals. Am Vortag hatte der 81-jährige Amerikaner in Stuttgart den Erich-Fromm-Preis erhalten. "Er spricht eine Sprache der Vernunft, die den Mächtigen und Meinungsbildnern ins Gewissen zu reden imstande ist und die Ohnmächtigen und kritisch Denkenden hoffen lässt", heißt es in der Würdigung der Tübinger Fromm-Gesellschaft. Dabei habe Chomsky seine politischen Urteile immer unabhängig von öffentlichen Meinungen getroffen. Sein Vortrag an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz beschäftigte sich mit dem anderen Themengebiet des Noam Chomsky: der Sprachwissenschaft, genauer gesagt den Bedingungen und Mechanismen des Spracherwerbs. Chomsky, Professor für Linguistik am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge, Massachusetts, USA, gilt als einer der bedeutendsten Linguisten und Intellektuellen weltweit. Er gehört im Bereich der Sprachwissenschaft zur Schule der Nativisten. Nach seinem "Poverty of Stimulus-Argument" ist die Struktur der menschlichen Sprache zu komplex, um innerhalb der relativ kurzen Phase des primären Spracherwerbs erlernt werden zu können. Vielmehr müssen Menschen über einen angeborenen und sprachspezifischen Mechanismus verfügen, der Wissen über Grammatik enthält, so Chomsky, der auf Einladung seiner langjährigen MIT-Kollegin Prof. Dr. Angela D. Friederici, Inhaberin der Johannes Gutenberg-Stiftungsprofessur 2010, nach Mainz kam.
Im Rahmen der Eröffnungsvorlesung erklärte Friederici u.a. die neurobiologischen Grundlagen für das menschliche Sprachverstehen und zeigte, wo sich Hören und Wortverarbeitung, Bedeutung und Sinnzusammenhang im Gehirn abbilden. Sie ging der Frage nach, ob Männer wirklich anders zuhören als Frauen und mit welchen Techniken derartige Prozesse überhaupt untersucht werden. Am folgenden Dienstag stand der kindliche Spracherwerb im Mittelpunkt.
Am Dienstag, 29. April, empfing Prof. Dr. Angela D. Friederici Bundesfamilienministerin Dr. Kristina Schröder zu ihrem Vortrag "Jedem Kind eine Chance: Die Bedeutung der Sprache in der frühkindlichen Förderung". Schröder, die selbst Soziologie, Politik und Philosophie an der Universität Mainz studierte, sprach in ihrer neuen Funktion als Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend über die Chancen und Grenzen frühkindlicher (Sprach-)Förderung und darüber, was die Familien- und Jugendpolitik dazu beitragen kann, dass Kinder in Kindertageseinrichtungen und in der Kindertagespflege von Anfang an in ihrer sprachlichen Entwicklung gefördert werden.
Nach Vorträgen zu den Themen "Wie das Gehirn Sprache und Musik verarbeitet" und "Warum der Affe keine Sprache lernt" begrüßte Stiftungsprofessorin Angela D. Friederici Dr. Simon E. Fisher vom Wellcome Trust Centre for Huma Genetics der University of Oxford. Eine nach London übergesiedelte pakistanische Großfamilie lieferte den ersten Anhaltspunkt für eine Erbanlage, die ganz zentral für korrekten Spracherwerb ist: Von 37 Familienmitgliedern aus 4 Generationen litten 15 an einer schweren Artikulations- und Sprachstörung. Sie konnten - insbesondere im Kindesalter - die Bewegungen ihrer Zunge und Lippen nicht richtig koordinieren. Doch waren diese Probleme nicht allein motorischer Natur: Auch ihr Sprachverständnis blieb mangelhaft, ihre Sätze waren meist in spezifischer Weise grammatikalisch falsch, ohne dass die Kinder ihre Fehler zu erkennen vermochten. Referent Dr. Simon E. Fisher ist der Genetiker, dem es gelang, den dafür verantwortlichen Genfehler zu entdecken: Veränderungen des FOXP2-Gens, so die neue Erkenntnis, führen zu Störungen der Artikulation, aber auch zu weitergehenden Verständnisproblemen. Das FOXP2-Gen, das viele Lebewesen in sich tragen, stört z.B. auch die Ausbildung motorischer Fähigkeiten bei Mäusen und das Erlernen des Gesangs bei Zebrafinken. Während der Entwicklung vom Affen zum Menschen scheint sich dieses Gen besonders rasch modifiziert zu haben. In seinem Vortrag erklärt Simon Fisher, wie vielfache Forschungsansätze im gesamten Tierreich weitere Bausteine für ein Puzzle liefern, das die Beziehung zwischen Erbgut, Gehirn und gesprochener Sprache entschlüsseln soll.
In ihrer Vorlesung am 27. Mai 2010 ging Friederici der Frage nach, "Warum Sprachenlernen für Erwachsene schwer ist", bevor Gastredner Prof. Dr. Peter Bieri in den folgenden Woche fragte: "Was macht die Sprache mit uns?" Das Medium des Erzählens, so der Schweizer Schriftsteller und Sprachphilosoph Peter Bieri alias Pascal Mercier, ist die Einbildungskraft, und sie ist auf vielfältige Weise mit der Sprache verknüpft: in der Wahl von Thema und Figuren, v.a. aber bei der Schaffung einer erzählerischen Atmosphäre durch den Gebrauch von Wortschatz, Stil und Melodie der Sätze. Im Schreiben verhilft uns die Sprache zu einer besonders dichten und tiefen Art von Selbsterkenntnis. Peter Bieri, renommierter Autor wissenschaftlicher Bücher und Romanautor, beschreibt das Besondere an der Art und Weise, wie sprachfähige Wesen in der Welt sind.
Zum Abschluss der Reihe sprach Prof. Dr. Julia Fischer, Professorin für Kognitive Ethnologie an der Georg-August-Universität und Mitarbeiterin des Deutschen Primatenzentrums, über "Die evolutionären Ursprünge der menschlichen Sprache". Auch wenn Affen noch so menschlich in ihrer Kommunikation wirken und manche Forscher sogar annehmen, dass sie eine Art Grammatik haben, so unterscheidet sich ihre Art der Kommunikation doch ganz erheblich von der des Menschen. Affen können ihre Laute beispielsweise nicht über bestimmte Muster hinaus verändern, der zuhörende Affe muss den feststehenden Kombinationen jedoch die jeweils richtige Bedeutung zuweisen, damit die Kommunikation funktioniert. Das bedeutet - anders als beim Menschen - eine fundamentale Trennung zwischen Lautproduktion und Lautverständnis. Dabei ist die Struktur der Laute bei Affen weitgehend genetisch festgelegt, die Bedeutung der Laute dagegen wird durch Erfahrung gelernt. Damit unterscheiden sich die nächsten Verwandten des Menschen erstaunlich von anderen Tiergruppen wie etwa Singvögeln, bei denen vokales Lernen Voraussetzung für den Erwerb des arteigenen Gesangs ist, oder auch bei Zahnwalen, die spezifische Laute imitieren können. Prof. Dr. Julia Fischer, international herausragende Primatenforscherin, untersucht die Kommunikaton bei Tieren und Menschen und zeigt dabei, dass Unterschiede der Sprache von Menschen und Tieren weitaus größer zu sein scheinen als die Gemeinsamkeiten. Sie berichtet dabei auch über neueste genetische Untersuchungen, die sich mit der Frage beschäftigen, was den Menschen im Laufe der Evolution zur modernen Sprache befähigt hat.
Die Johannes Gutenberg-Stiftungsprofessur
Aus Anlass des 600. Geburtstags von Johannes Gutenberg im Jahr 2000 richteten die "Freunde der Universität Mainz e.V." die Johannes Gutenberg-Stiftungsprofessur als gemeinnützige Stiftung ein. Die Stiftungsprofessur wird aus von privat gespendeten und gestifteten Mitteln und aus deren Erträgen finanziert. Sie ist Persönlichkeiten vorbehalten, die aufgrund ihrer wissenschaftlichen Leistungen oder ihrer Bedeutung im kulturellen und öffentlichen Leben in der Lage sind, Fachperspektiven zu verbinden und übergreifende Einsichten zu entwickeln. Die Johannes Gutenberg-Stiftungsprofessur hatten bisher inne: Fritz Stern (2000), Bert Hölldobler (2001), Hans-Dietrich Genscher (2002), Wolfgang Frühwald (2003), Klaus Töpfer (2004), Peter Ruzicka (2005), Anton Zeilinger (2006), Fritz Melchers (2007), Jan Philipp Reemtsma (2008) und Karl Kardinal Lehmann (2009).
"Freunde der Universität Mainz e.V."
Der 1951 gegründeten Vereinigung der "Freunde der Universität Mainz e.V." gehören zurzeit fast 1.000 Mitglieder und Ehemalige der Johannes Gutenberg-Universität Mainz sowie Persönlichkeiten des öffentlichen und kulturellen Lebens, der Wirtschaft und der Politik an. Der Freundeskreis fördert Forschung und Lehre und steht allen Bürgerinnen und Bürgern offen.
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