Schule ist für deutsche Jugendliche größter Stressfaktor im Alltagsleben

Jugendliche zeigen auch gute Strategien beim Lösen von Problemen / Studie mit über 5.000 Jugendlichen in 15 Ländern vorgelegt

11.02.2005

Im Alltagsleben von deutschen Jugendlichen ist die Schule der größte Stressfaktor. In einem Ländervergleich berichteten die befragten Deutschen im Alter von 12 bis 20 Jahren dagegen über vergleichsweise geringen Stress mit ihren Eltern. "Die deutschen Schülerinnen und Schüler zeigen zwar im Vergleich zu Finnland wesentlich höhere Werte beim Schulstress, in der Bewältigung von Alltagsproblemen sind sie aber genauso gut wie die finnischen Jugendlichen“, so Prof. Dr. Inge Seiffge-Krenke vom Psychologischen Institut der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). "Die Strategien der deutschen Jugendlichen zum Lösen von Problemen sind also gar nicht so schlecht. Sie weisen insgesamt im internationalen Vergleich eine sehr kompetente Herangehensweise auf."

Seiffge-Krenke, Leiterin der Abteilung Entwicklungs- und Pädagogische Psychologie, hat Daten von 5.347 Jugendlichen aus bislang 15 Ländern ausgewertet; darunter auch Finnland und Hongkong, die bei der PISA-Studie sehr gut abgeschnitten hatten. Im Zentrum der Erhebungen stand die Frage nach Alltagsbelastungen durch Schule, Eltern, Gleichaltrige, Zukunft, Freizeit oder das andere Geschlecht und die Strategien zur Bewältigung solcher Belastungen. "Ich hatte erwartet, dass Jugendliche in Deutschland hohen Schul- und Elternstress haben, aber das ist nicht der Fall,“ erläutert Prof. Dr. Inge Seiffge-Krenke. Dennoch weist Deutschland beim Schulstress Spitzenwerte auf und liegt an zweiter Stelle hinter Griechenland, weit vor anderen europäischen Länder wie der Schweiz, den Niederlanden, Portugal und Italien. Besonders beklagt werden Leistungsdruck in der Schule, Rivalität und mangelnde Kooperation unter Schülern sowie Verständnislosigkeit der Lehrer. Aber deutsche Jugendliche haben auffallend wenig Stress mit ihren Eltern, verglichen mit Jugendlichen aus Südeuropa, Südafrika und Asien. Jugendliche aus Ländern, die bei PISA gut abgeschnitten haben wie etwa Hongkong, berichten über ungewöhnlich hohe Werte im Elternstress. Hervorzuheben ist jedoch, dass zukunftsbezogene Probleme in fast allen Ländern hohen Stress verursachen. Zukunftsbezogene Sorgen und Probleme als eine Mischung aus Unsicherheit über die eigene berufliche Zukunft und allgemeingesellschaftlichen Sorgen wie etwa Sorgen wegen der fortschreitenden Umweltzerstörung sind für alle Jugendlichen aus den 15 Ländern der Untersuchung der wichtigste Stressor überhaupt. Unabhängig vom Herkunftsland oder der Region wird die Zukunft als das belastendste Problem empfunden.

Positiv ist allerdings, dass die Jugendlichen in den verschiedenen Ländern trotz der Zukunftsängste in ihrer Stressbewältigung sehr aktiv bleiben. Unterschieden wird hier nach aktiver Bewältigung in Form von Diskussionen und der Suche nach Rat und Hilfe sowie nach Strategien zur Lösung von Problemen, indem darüber nachgedacht und verschiedene Möglichkeiten gedanklich durchgespielt werden. Diese beiden Vorgehensweisen gelten als funktional, um das Problem im Moment zu lösen. Rückzugsstrategien werden als problematisch betrachtet, weil sie das Problem im Moment nicht lösen. "Aber auch Rückzugsstrategien können manchmal hilfreich sein“, betont Prof. Dr. Inge Seiffge-Krenke mit dem Hinweis darauf, dass es auch kulturelle Muster der Problembewältigung gibt. So zeigen Jugendliche aus Hongkong im Ländervergleich sehr hohe Werte bei der Bewältigung von Problemen durch Rückzug.

Die Deutschen sind hier aktiver, sprechen die Schwierigkeiten eher an, sind diskussionsfreudiger und suchen nach einer Klärung im Gespräch. Knapp 80 Prozent der Bewältigungsstrategien deutscher Jugendlicher gelten als funktional, Werte, die fast gleichauf mit dem Spitzenreiter Finnland liegen. "Besonders in der Reflexion über mögliche Problemlösungen sind die Finnen stark“, erklärt Seiffge-Krenke.

Nach der Auswertung der Daten aus 15 Ländern sollen nun noch Datenerhebungen in weiteren Ländern folgen, darunter auch in den USA, Großbritannien und Frankreich. Damit wird sich die Studie auf eine Stichprobe von etwa 8.000 Jugendlichen im Alter von 12 bis 20 Jahren stützen. Künftige Auswertungen sollen außerdem die einzelnen Stressoren im jedem Land genauer unter die Lupe nehmen, also die jeweiligen Probleme mit Schule oder Eltern noch stärker konkretisieren. Außerdem ist ein Kooperationsprojekt zwischen den Universitäten Mainz und Hongkong geplant, bei dem die Faktoren analysiert werden, die zu dem besonders guten Abschneiden in Hongkong und dem vergleichsweise schlechten Abschneiden deutscher Schüler bezogen auf die Schulleistung geführt haben.