Ruanda im Blick studentischer Forschung zehn Jahre nach Bürgerkrieg und Völkermord

Projektseminar führte neun Studierende in das zentralafrikanische Land / Forschungsergebnisse zeigen nicht nur Probleme, sondern auch Hoffnung

28.02.2005

Dass die extreme gesellschaftliche Krise, die Ruanda in den frühen 1990er-Jahren mit Bürgerkrieg und Genozid erlitten hatte, alles andere als vergessen ist und das Alltagsleben der ruandischen Bevölkerung beherrscht, ist nicht verwunderlich. Zwar können Krieg und Völkermord das gesellschaftliche Leben in dem afrikanischen Land nicht alleine erklären, jedoch sind die Folgen unübersehbar und unumgehbar. Dies zeigte ein Projektseminar am Institut für Ethnologie und Afrikastudien der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) unter Leitung von Dr. Anna-Maria Brandstetter.

Neun Studentinnen und Studenten haben sich eineinhalb Jahre lang mit der Kultur und Gesellschaft des Landes befasst, die Landessprache Kinyarwanda erlernt und über zwei Monate Feldforschungen vor Ort betrieben. Die Ergebnisse dieser Forschungen liegen nun vor. Sie sind aufgrund der großen Bandbreite der Themen – von Islam und neuen christlichen Kirchen über Frauen mit HIV/Aids, Straßenkinder und Frauenprojekte bis hin zu Radio und Tourismus – entsprechend unterschiedlich. Eine Erkenntnis, so Brandstetter, ist jedoch allen gemeinsam: ungeachtet der zahlreichen Probleme – wirtschaftlich, gesundheitlich, sozial oder rechtlich – verzweifeln die Menschen in Ruanda keineswegs, sondern suchen eigenständig und auf eigene Weise nach Wegen, ihren Alltag zu meistern. Außer der oft beschwerlichen Sicherung des reinen Überlebens geht es ihnen dabei auch immer darum, eine soziale Welt zu gestalten, in der sich die Menschen wieder vertrauen und aufeinander verlassen können.

Von April bis Juni 1994 sind in Ruanda mindestens 800.000 Menschen, vorwiegend Tutsi, getötet worden. Den Spuren dieser extremen Gewalt in vielen gesellschaftlichen Bereichen zu folgen, hat sich ein Teil der Ethnologiestudentinnen und -studenten zur Aufgabe gemacht. Ein wichtiger Bereich sind die Medien. Extremistische Propaganda hatte zwischen 1990 und 1994 einen Nährboden für Pogrome geschaffen, und während des Genozids wurden Todeslisten und Anleitungen über den Äther verbreitet. Heute ist das Radio weiterhin das wichtigste Medium: Angesichts der hohen Analphabetenrate von etwa 45 Prozent, einer mündlichen Kultur und aus Kostengründen nutzen im urbanen Raum fast 90 Prozent und im ländlichen Raum 81 Prozent der Bevölkerung das Radio als Informationsquelle.

Ein Beispiel für die Allgegenwart der jüngsten Vergangenheit ist auch die Situation der Kirchen. Noch bis zu den frühen 1990er-Jahren schien Ruanda fest in der Hand der etablierten christlichen Kirchen zu sein. 61 Prozent der Bevölkerung waren Katholiken und 26 Prozent Protestanten. Nach dem Genozid wandten sich viele Ruander von den etablierten Kirchen ab und gründeten unabhängige Gemeinden oder schlossen sich eigenständigen christlichen Bewegungen an. Auch die muslimische Gemeinschaft erlebte nach 1994 einen rasanten Aufschwung und stellt mittlerweile etwa 14 Prozent der Bevölkerung.

Schätzungen zufolge sind durch den Völkermord rund 400.000 Kinder zu Waisen geworden. Viele leben als Straßenkinder und sind von den Ereignissen traumatisiert. Die Forschung in einem Kinderdorf und anderen Projekten für Straßenkinder zeigte, wie wichtig es ist, diesen Kindern angstfreie Räume zu geben. Wenngleich Ruanda noch viele Jahre unter den Folgen von Bürgerkrieg und Massenmord leiden wird, gibt es nach Darstellung von Brandstetter auch ein "Leben jenseits von Krieg und Genozid", das in verschiedenen Forschungsarbeiten der Studierenden dargestellt wird.

Ethnologie an der JGU

"Ethnologie" wird an der JGU derzeit von knapp 800 Studierenden belegt. Als Sozial- und Kulturwissenschaft befasst sie sich mit der Vielfalt menschlicher Lebensweisen und beschreibt ihre Ähnlichkeiten und Unterschiede. Dabei untersuchen Ethnologinnen und Ethnologen heute nicht nur außereuropäische ländliche Gesellschaften, sondern auch Migration und Urbanisierung, kulturelle Vermischungen und die Wiederbelebung von Traditionen. Die Ethnologie setzt sich dabei auch kritisch mit den eigenen, europäischen Lebens- und Denkweisen auseinander und leistet damit nach ihrem eigenen Verständnis einen wichtigen Beitrag zum interkulturellen Verstehen in einer Welt, die sich immer stärker vernetzt.

Afrika und hier auch speziell Ruanda bildet ein Schwerpunkt der ethnologischen Forschung in Mainz und die Kooperation des Mainzer Instituts mit der Nationaluniversität in Butare in Forschung und Lehre besteht nun schon gut 20 Jahre. Auf Landesebene wurde 1982 eine beispielhafte Zusammenarbeit gestartet, indem Rheinland-Pfalz seinen Beitrag zur Entwicklungszusammenarbeit auf ein Land konzentriert und Ruanda als einem der ärmsten Länder der Welt eine partnerschaftliche Zusammenarbeit angeboten hat. An dieser Partnerschaft beteiligen sich heute über 50 Initiativen und Ruandagruppen in Gemeinden, Städten und Landkreisen. Aber auch über 230 Schulen und zahlreiche Vereine, Verbände, Universitäten und Fachhochschulen haben Beziehungen mit den entsprechenden Partnern in Ruanda aufgebaut. Diese Netzwerke, hier vor allem das Koordinationsbüro in Kigali, unterstützten die Ethnologie-Studierenden aus Mainz bei ihren Forschungen und Praktika in Ruanda.