Forschungsverbund nutzt erstmals Laserspektroskopie, um chemische Verbindungen mit kurzlebigem radioaktiven Bestandteil zu untersuchen
27.05.2020
GEMEINSAME PRESSEMITTEILUNG DER PHILIPPS-UNIVERSITÄT MARBURG UND DER JOHANNES GUTENBERG-UNIVERSITÄT MAINZ
Radioaktive Moleküle eignen sich als Miniatur-Laboratorien, mit denen sich grundlegende Eigenschaften von Elementarteilchen und Atomkernen studieren lassen. Dies ist das Ergebnis eines Experiments, über das ein internationales Forschungskonsortium in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Nature berichtet. Die Gruppe nutzte eine Beschleunigeranlage des europäischen Kernforschungszentrums CERN, um kurzlebige radioaktive Moleküle zu erzeugen, die das Team dann erstmals mittels Laserstrahlung spektroskopisch untersuchte.
"Wir machen uns zunutze, dass manche physikalischen Effekte in Molekülen um ein Vielfaches verstärkt werden können", sagt Prof. Dr. Robert Berger, der eine Arbeitsgruppe für Theoretische Chemie an der Philipps-Universität Marburg leitet. Er ist zusammen mit dem amerikanischen Physiker Prof. Dr. Ronald Fernando Garcia Ruiz einer der Leitautoren der aktuellen Veröffentlichung. Der Verstärkungseffekt macht sich besonders bei Molekülen bemerkbar, die sehr schwere, radioaktive Bestandteile enthalten. Dabei besteht das Problem, dass solche Moleküle kurzlebig sind, wenn die radioaktiven Atomkerne schnell zerfallen. Kurzlebige radioaktive Kerne kommen in der Natur nicht vor und müssen daher künstlich in spezialisierten Einrichtungen wie dem Isotopentrenner ISOLDE am CERN hergestellt werden.
Untersuchung kurzlebiger radioaktiver Moleküle mit Erfolg durchgeführt
Die Auswahl fiel auf Radiummonofluorid. Zusammen mit Garcia Ruiz versammelte Berger ein internationales Team am europäischen Kernforschungszentrum in Genf, um in einem ausgeklügelten Versuchsaufbau schrittweise Radiummonofluorid herzustellen und dessen Eigenschaften zu studieren. "Nach unserer Kenntnis ist dies das erste Mal, dass kurzlebige radioaktive Moleküle mittels Laserspektroskopie untersucht wurden", hebt Berger hervor.
Zunächst erzeugte das Team durch Protonenbeschuss eines uranhaltigen Materials Radiumatomkerne verschiedener Masse, die anschließend erhitzt und mit Tetrafluorkohlenstoff umspült wurden. Mit hochempfindlicher und gleichzeitig hochauflösender Massenspektrometrie wurde nachgewiesen, dass tatsächlich geladenes Radiummonofluorid gebildet wurde, gleichzeitig aber keine anderen ionisierten Atome oder Moleküle entstanden, welche die Messungen behindert hätten.
Durch Stoß mit Natriumatomen erhielt die Forschungsgruppe elektrisch neutrales Radiummonofluorid. Dieses Molekül wurde schrittweise mit Lasern energetisch angeregt und schlussendlich wieder in den elektrisch geladenen Zustand des Ions überführt, der effizient detektiert werden konnte. "Einen ähnlichen Ansatz nutzen wir üblicherweise zur Spektroskopie an Atomen", erläutert Koautor Prof. Dr. Klaus Wendt von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU), "aber nun wurde er erstmalig erfolgreich zur Untersuchung kurzlebiger radioaktiver Moleküle verwendet."
Die Radiummonofluorid-Moleküle konnten durch Laserkühlung auf Temperaturen heruntergekühlt werden, die es erlaubten, sie in allen Einzelheiten zu untersuchen. Bei der Laserkühlung beschießt man ein Molekül mit Lichtquanten, die dadurch einen Impuls übertragen, der das Molekül abbremst. Die Laserkühlbarkeit ist erforderlich, um elementare physikalische Eigenschaften geeigneter Moleküle mit hoher Präzision zu bestimmen. Die Ergebnisse, so heißt es in der Nature-Veröffentlichung, eröffnen neue Möglichkeiten für die Synthese, Manipulation und Untersuchung von kurzlebigen radioaktiven Molekülen, die direkten Einfluss auf die Forschung in der Vielkörperphysik und Astrophysik sowie der Kernforschung und bei fundamentalen Präzisionsexperimenten haben werden.
Außer der Philipps-Universität Marburg, der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, der Universität Greifswald und der Universität Kassel waren weitere Arbeitsgruppen aus Europa, den USA sowie der Volksrepublik China an dem Verbund beteiligt. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft, das Bundesforschungsministerium, der Europäische Forschungsrat, die Russische Wissenschaftsstiftung und weitere institutionelle Geldgeber förderten die zugrundeliegende Forschungsarbeit finanziell.