Team des INGV-Osservatorio Vesuviano und der JGU analysiert seismisches Rauschen des vergangenen Jahrzehnts am Supervulkan von Campi Flegrei
17.11.2021
GEMEINSAME PRESSEMITTEILUNG DES NATIONALEN INSTITUTS FÜR GEOPHYSIK UND VULKANOLOGIE IN ITALIEN UND DER JOHANNES GUTENBERG-UNIVERSITÄT MAINZ
Die Analyse des Rauschens, das von seismischen Stationen an der Oberfläche aufgezeichnet wurde, hat zu einer besseren Deutung der vulkanischen Prozesse der Phlegräischen Felder verholfen. Das Ergebnis wurde mithilfe eines neuen Bildgebungsverfahrens erzielt, das von einem internationalen Team von Wissenschaftlern des Istituto Nazionale di Geofisica e Vulcanologia (INGV-OV) in Italien und der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) entwickelt wurde. Die Studie "Fluid migrations and volcanic earthquakes from depolarized ambient noise" wurde nun in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht.
"Tiefe Fluide können Erdbeben hervorrufen", erklärt INGV-Wissenschaftlerin Dr. Simona Petrosino. "Daher hat das Team ein neues Verfahren entwickelt, um die Migrationsprozesse dieser tiefen Fluide in den Campi Flegrei besser nachvollziehen zu können. Dieses Verfahren ermöglicht das Nachverfolgen der Fluide, also einer Kombination von Flüssigkeiten und Gasen, mithilfe unterschiedlicher Zeitfenster des aufgenommenen seismischen Rauschens – von wenigen Stunden bis zu Jahren."
Die Forschenden nutzen die Störungen, die diese tiefen Prozesse auf das Rauschen am Meeresboden oder atmosphärische Aktivität auslösen und die kontinuierlich von Stationen an der Vulkanoberfläche aufgezeichnet werden, um daraus Rückschlüsse auf das Vulkaninnere zu ziehen.
"Meer und Wind sind in ständiger Interaktion mit der Caldera und erzeugen Wellen, die sie bis in ihre Tiefen durchdringen", fügt die Forscherin hinzu. "In den letzten 40 Jahren waren die Calderastrukturen erheblichen lateralen Spannungen ausgesetzt, verursacht durch die Ausdehnung der Kruste, den Druck von Magma in der Tiefe und die komplexe Interaktion tiefliegender vulkanischer Materialien mit Regen im Vulkan."
"Wellen des Umgebungsrauschens dringen in die Caldera ein", so die Wissenschaftlerin weiter, "wobei sich die Richtung über Verwerfungen und Vulkanschloten ändert. Unsere Forschung zeigt, dass der Richtungswechsel hilft, Strukturen zu erkennen, das Fehlen jeglicher Gerichtetheit hingegen ein Zeichen ihrer Aktivierung ist. Auf die Energieentladung folgt die Migration von Fluiden, die zusätzliche Rauschquellen erzeugen und somit unsere Fähigkeit zur Rekonstruktion der Ausrichtung beeinträchtigen. Das Fehlen einer Gerichtetheit gibt uns ein Werkzeug an die Hand, um die Migration tiefer Fluide vor Erreichen der Oberfläche nachzuverfolgen."
Die Wissenschaftler haben für die aktuelle Studie Rauschdaten analysiert, die im letzten Jahrzehnt aufgezeichnet wurden, und dabei einen Verlust der Gerichtetheit im Jahr 2018 festgestellt, als tiefe Fluide die flachen hydrothermalen Systeme erreichten. Daraus folgern die Forscher, dass diese Migrationen mit großer Wahrscheinlichkeit der Auslöser für die Erdbeben waren, die Ende 2019 die Caldera erschütterten.
Migration von Fluiden in Richtung der östlichen Caldera beobachtet
"Wir haben ein Modell des am Vulkan aufgezeichneten und kartierten Rauschens entwickelt", ergänzt Prof. Dr. Luca De Siena von der JGU. "Der vom rheinland-pfälzischen Ministerium für Wissenschaft und Gesundheit finanzierte Potenzialbereich TeMaS der JGU hat uns bei der Entwicklung eines computergestützten Modells des Vulkans unterstützt. Wir haben dann am Computer simuliert, wie der Vulkan auf Geräusche reagiert, die in der Mitte des Tyrrhenischen Meers erzeugt werden. In Verbindung mit dem umfassenden Wissen, das die internationale Gemeinschaft über den Vulkan gesammelt hat, haben uns diese Modelle die quantitative Interpretation der räumlichen und zeitlichen Verluste der Gerichtetheit ermöglicht."
"Der Vulkan entlädt seine Spannung durch die Migration von Fluiden entlang von Wegen, die während der intensiven Aktivität 1983/1984 geöffnet wurden", fährt De Siena fort. "Diese tiefen Fluide verbinden sich mit Flüssigkeiten aus Regenfällen, die den oberflächennahen Teil des Vulkans durchlässiger machen. Dies führt zu starken Erdbeben wie 2019/2020. Durch die Beobachtung von Richtungsänderungen im Laufe der Zeit können wir nun die fortschreitende Migration von Fluiden in Richtung der östlichen Caldera beobachten, deren Struktur dem größten Stress ausgesetzt ist und die als Barriere für eine weitere Migration in östlicher Richtung wirkt."
"Veränderungen der temporalen Bilder zeigen den zunehmenden Stress vor dem Erdbeben und seine Entladung, in Übereinstimmung mit der weiteren Migration von Fluiden nach Osten. Diese Ergebnisse erklären die allmähliche Verlagerung der vulkanischen Aktivität nach Osten, die in den letzten Jahrzehnten beobachtet wurde", schlussfolgert der Wissenschaftler.
Die Studie verspricht eine bessere Interpretation vulkanischer Aktivitäten mit der verbesserten Überwachung tiefer Fluide, auch wenn sich daraus zum jetzigen Zeitpunkt keine direkten Auswirkungen für Maßnahmen zum Schutz der örtlichen Bevölkerung treffen lassen.