Neues Forschungsprojekt untersucht frühneuzeitliche Musikermigration als identitätsstiftende Kraft Europas

Länderübergreifendes Projekt wird von der EU in den kommenden drei Jahren mit knapp einer Million Euro gefördert

02.05.2013

Mehr als zehn Jahre verbrachte Wolfgang Amadeus Mozart mit Reisen auf dem europäischen Kontinent – ein berühmtes Beispiel für die hohe Reisemobilität und das Migrantenleben, wie es für Hunderte von Musikern im 17. und 18. Jahrhundert prägend war. Manche zog es nur vorübergehend zu Gastspielen in benachbarte Regionen, andere fanden Gefallen an einer neuen Anstellung auch an entfernteren Orten und verließen ihre Heimat für immer. Die Migration von Musikern hat zur Dynamik der europäischen Musik- und Kulturlandschaft einen enormen Beitrag geliefert: Innovationen und neue Stilrichtungen wurden angeregt, Gewohnheiten im musikalischen und sozialen Verhalten verändert und die verbindenden Kräfte der kulturellen Identität Europas gestärkt. Von dieser Annahme geht ein neues Forschungsprojekt aus, das sich mit Musikermigrationen in der Frühen Neuzeit zwischen in Ost-, West- und Südeuropa beschäftigt und das von der EU in den kommenden drei Jahren mit knapp einer Million Euro gefördert wird. Aufseiten der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) ist Juniorprof. Dr. Gesa zur Nieden vom Musikwissenschaftlichen Institut an dem länderübergreifenden Projekt beteiligt.

Das Forschungsprojekt hat sich zum Ziel gesetzt, möglichst viele Informationen über die Migration von Musikern im 17. und 18. Jahrhundert zu sammeln und in einer Datenbank zusammenzuführen. Informationen über einzelne Personen, neben Instrumentalisten auch Komponisten, Sänger, Musiktheoretiker und Musikverleger, sollen aber auch in einen größeren Zusammenhang gebracht werden, um Migration und die Mobilität der frühen modernen Musiker als kulturelles Phänomen zu erfassen.

Beispielsweise kam es im Zuge der Verbreitung der italienischen Oper im 17. Jahrhundert zu einer noch nicht dagewesenen Wanderbewegung von Musikern der italienischen Halbinsel in fast alle europäischen Regionen und Länder. Sie führten an den europäischen Höfen nicht nur den neuen radikalen Kompositions- und Vortragsstil ein, sondern brachten auch ihre Kenntnisse und Fähigkeiten in die vorhandenen musikalischen Strukturen ein und schufen so neue Werte und Regeln, die mit den italienischen nicht mehr völlig identisch waren. Im Gegensatz dazu zogen die italienischen Zentren mit ihrer Zentripetalkraft auch Musiker von auswärts an, die im Rahmen von höfischen Stipendien den neuen Stil und die damit zusammenhängende Aufführungspraxis erlernen sollten. Bei ihrer Rückkehr an ihren Ursprungsort dienten sie zur weiteren Propagierung des mit der italienischen Oper zusammenhängenden Repräsentationsmodells, mussten das Gelernte jedoch gleichzeitig an die lokalen Kompositions- und Aufführungstraditionen anpassen. Vor diesem Hintergrund wird die Definition des Wortes "Migration" eine der Hauptaufgaben des gemeinschaftlichen Forschungsprojekts darstellen, zumal die Mobilität der Musikschaffenden in der Frühen Neuzeit häufig mit Stipendien für musische Erziehung, mit der Begleitung von Diplomaten und Adligen auf deren Reisen und der Begleitung diplomatischer Missionen einherging – oder aber auch mit einem Aufenthalt im Exil.

An dem Forschungsprojekt sind neben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Mainz auch Forschergruppen in Berlin, Zagreb (Kroatien), Warschau (Polen) und Ljubljana (Slowenien) beteiligt. Das Forschungsvorhaben gehört zu 15 Projekten, die von insgesamt 593 Anträgen für eine EU-Förderung im Rahmen der Linie "HERA – Humanities in the European Research Area" ausgewählt wurden. Die Datenbank-Arbeiten werden auf einem Vorläuferprojekt zur Erfassung von Musikermigration (ANR-DFG-Projekt Musici) aufbauen. "Wir wollen zu einem besseren Verständnis der individuellen, lokalen, regionalen und 'nationalen' Phänomene der europäischen Musikermigration in der Frühen Neuzeit gelangen, was sich nur durch eine möglichst großflächige, vergleichende Betrachtung bewerkstelligen lässt", so Juniorprof. Dr. Gesa zur Nieden, Leiterin des deutschen Projektteils.