Edward Lemke koordiniert Schwerpunktprogramm zur Erforschung intrinsisch ungeordneter Proteine und ihrer Funktion in der Zelle
09.05.2018
Prof. Dr. Edward Lemke wird ein neues Schwerpunktprogramm (SPP) koordinieren, das die Bildung und Funktion von speziellen Proteinkomplexen in der Zelle besser erforscht. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat die Einrichtung des Programms ab 2019 bewilligt und stellt in den ersten drei Jahren hierfür 6 Millionen Euro bereit. Das SPP 2191 "Molekulare Mechanismen funktioneller Phasenseparation" gehört zu den besonders aktuellen Forschungsgebieten, die die DFG in den Lebenswissenschaften fördert. Edward Lemke hat zu Beginn des Jahres eine Professur für synthetische Biophysik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) übernommen und in Verbindung damit eine Stelle als Adjunct Director am Institut für Molekulare Biologie (IMB) angetreten. Er ist auch Fellow des Gutenberg Forschungskollegs an der JGU. Der biophysikalische Chemiker gilt als ein Pionier in der Erforschung der intrinsisch ungeordneten Proteine.
"Die Bewilligung des Programms durch die DFG ist ein erneuter Beleg für die herausragenden Leistungen der lebenswissenschaftlichen Forschung in Mainz und zugleich ein weiterer Meilenstein in der erfolgreichen Zusammenarbeit zwischen der Mainzer Universität und dem Institut für Molekulare Biologie (IMB). Professor Lemke kann in seiner Funktion als Adjunct Director seine universitären Forschungsthemen und die Arbeiten im Institut IMB besonders eng verknüpfen und mit dieser Doppelzugehörigkeit einmalige Synergieeffekte in seinem Fach erzeugen", so Wissenschaftsminister Prof. Dr. Konrad Wolf. Der Wissenschaftsminister verweist darauf, "dass erst vor wenigen Tagen bekannt gegeben werden konnte, dass die gemeinnützige Boehringer Ingelheim Stiftung und das Land Rheinland-Pfalz das IMB mit weiteren 106 Millionen Euro in den Jahren 2020 bis 2027 unterstützen werden. Die erneute Erfolgsmeldung bestätigt, dass das Land die richtige Entscheidung getroffen hat."
Wenig strukturierte Proteine für hoch dynamische Kompartimente
Proteine gehören zu den Bausteinen des Lebens, die in jeder Zelle vorkommen. Sie bilden Muskelgewebe und übernehmen wichtige Funktionen als Enzyme und in der Immunreaktion – um nur einige Beispiele zu nennen. Die Funktion der Proteine hängt, so war die bisherige Annahme, wesentlich von ihrer dreidimensionalen Struktur ab, die durch die Faltung der Aminosäureketten entsteht. Aber nicht alle Proteine liegen in einer geordneten 3-D-Struktur vor. Ein recht großer Anteil, der Schätzungen zufolge beim Menschen über 30 Prozent beträgt, besteht aus nicht oder wenig strukturierten Eiweißen, den intrinsisch ungeordneten Proteinen – in ihrer Gesamtheit auch als "Dunkles Proteom" bezeichnet. Erst vor wenigen Jahren wurde bekannt, wie die Zelle diese Bausteine nutzt und damit neue dynamische Funktionen ermöglicht.
"Wir haben Proteintröpfchen in unseren Zellen, die in der Zellflüssigkeit schwimmen wie Öltropfen auf dem Wasser", beschreibt Edward Lemke den aktuellen Stand der Forschung. Die Proteintröpfchen entstehen durch Phasenseparation, wobei sich die "Spaghettimoleküle" der Zelle – das sind die intrinsisch ungeordneten Proteine und Einzelstrang-RNA – bei hoher Konzentration spontan zusammenballen. "In der Zelle entstehen neue Kompartimente, die nicht durch eine Membran vom Rest der Zelle abgetrennt sind, kleine Protein-RNA-Fabriken, die neue Funktionen übernehmen und hoch dynamisch sind", erklärt Lemke. Der Nukleolus im Zellkern ist zum Beispiel eine solche Mini-Fabrik, in der viele zentrale Zellfunktionen stattfinden, oder die Stressgranulen, die die Zelle als Antwort auf Stress bildet. Durch eine fehlgeleitete Aggregation von Eiweißen können allerdings auch viele Krankheiten entstehen.
Phasenseparation als funktionelles Instrument der Zelle verstehen
Ziel des neuen DFG-Schwerpunktprogramms wird es sein, diesen Eiweißstrukturen näher zu kommen. Die Bezeichnung "Dunkles Proteom" verweist darauf, dass die intrinsisch ungeordneten Proteine in ihrem ursprünglichen Stadium, der Spaghetti-Form, nicht gut sichtbar zu machen und daher nicht einfach zu untersuchen sind. "Im Schwerpunktprogramm wollen wir besser verstehen, wie die Zelle die Phasenseparation benutzt. Dabei interessiert uns, welche neuen Funktionen das Kollektiv der zusammenkommenden Proteine ausübt. Es sind grundlegende Prozesse, die die Biologie und die Lebenswissenschaften bisher nicht wirklich berücksichtigt haben", so Lemke.
In methodischer Hinsicht werden die am Schwerpunktprogramm beteiligten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen Neuland betreten. Lemke hofft jedoch, dass vielleicht Konzepte und Methoden der Polymerchemie auf die Lebenswissenschaften zu übertragen sind. Schnittstellen könnten sich etwa mit dem Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz ergeben.
Das bewilligte Schwerpunktprogramm wurde jetzt von der DFG ausgeschrieben, um die einzelnen Projektpartner zu dem Oberthema "Molekulare Mechanismen funktioneller Phasenseparation" auszuwählen. DFG-Schwerpunktprogramme werden in der Regel für sechs Jahre gefördert. Bereits Mitte Mai wird sich eine Konferenz am European Molecular Biology Laboratory (EMBL) in Heidelberg mit dem Thema befassen: "Cellular Mechanisms Driven by Liquid Phase Separation". Die Konferenz wird von Edward Lemke zusammen mit Kollegen aus den USA und Österreich organisiert.