Elektronen lassen sich verlustfrei übertragen, auch bei kürzlich entdeckten unkonventionellen Magneten ohne magnetisches Moment
02.05.2023
Vor mehreren Jahren machten Forschende der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik eine theoretische Vorhersage über die Entdeckung eines neuen Hall-Effekts. Nun konnten sie diese Vorhersage experimentell untermauern, gemeinsam mit Forschungspartnern der Beihang University in China, der Huazhong University of Science and Technology in China, der Universidad del Norte in Kolumbien und der University of Nottingham in Großbritannien. Die Ergebnisse hat das Forschungsteam im Fachmagazin Nature Electronics veröffentlicht.
Der Hall-Effekt
Ende des 19. Jahrhunderts entdeckte der US-amerikanische Physiker Edwin Hall zwei Effekte. Der erste ist der nach ihm benannte, konventionelle Hall-Effekt. Dieser besagt: Hält man ein Material in ein Magnetfeld und schickt einen elektrischen Strom hindurch, werden die Elektronen durch die Lorenzkraft abgelenkt. Das wurde in der letzten Dekade intensiv genutzt, um N- und P-Typ-Halbleiter zu unterscheiden. Zwei Jahre nach dieser ersten Entdeckung fand Hall zudem heraus: Nimmt man ein magnetisches Material wie Eisen, fällt der Effekt überraschend stark aus – auch ohne Magnetfeld. Da das Material magnetisch ist, tritt anstelle des externen magnetischen Feldes eine Magnetisierung auf, so die Erklärung. Vor zwanzig Jahren fand man zudem heraus, dass ein großer Beitrag in vielen Materialien von einem effektiven Feld stammt, das auf die Elektronen wirkt – es kommt durch ein quantenmechanisches Zusammenspiel der magnetischen Ordnung und der Spin-Orbit-Interaktion zustande. Man spricht dabei vom anomalen Hall-Effekt. Lange Zeit ging man davon aus, dass dieser Effekt von der Magnetisierung abhängt. Ohne Magnetisierung, so dachte man, könne dieser Effekt nicht auftreten. Dies änderte sich einige Jahre später, als man entdeckte, dass eine nichtlineare Textur in einem Magneten ebenfalls einen anomalen Hall-Effekt hervorruft.
Was sehr theoretisch klingt, hat durchaus eine interessante Anwendung. Denn während Elektronen, die sich durch einen herkömmlichen Leiter bewegen, das Atomgitter aufheizen und somit Energie verlieren könnten, bewegen sie sich in einem Material, in dem der Hall-Effekt auftritt, verlustfrei. Zumindest in transversaler Richtung, also in einer Querbewegung. Um ihr volles Potenzial auszuschöpfen, sind jedoch praktischere magnetische Materialien ohne Magnetisierung und komplexe Nichtkollinearität erforderlich.
Anomaler Hall-Effekt in Materialien ohne magnetisches Moment
Forschende der JGU sagten vor einigen Jahren voraus, dass der anomale Hall-Effekt in unkonventionellen Materialien wie Rutheniumoxid auch ohne magnetisches Moment auftritt – sprich in Materialien, in denen sich die Magnetisierung aufgrund antiparalleler linearer Spin-Ordnungen vollkommen aufhebt. "Das war sehr überraschend, schließlich ging man bis dahin davon aus, dass auch der Hall-Effekt durch diese gegensätzlichen Momente kompensiert wird", erläutert Dr. Libor Šmejkal, wissenschaftlicher Teamleiter im Institut für Physik der JGU. "Doch sind die räumlichen Verteilungen der magnetischen Momente in diesem speziellen Material wie Rutheniumoxid nicht sphärisch, sondern hantelförmig. Daher können sie einen anomalen Hall-Effekt hervorrufen, der überraschenderweise sehr stark ist."
Experimenteller Nachweis gelungen
Kürzlich ist es dem Forscherteam gelungen, diese Vorhersage experimentell zu verifizieren. "Unsere Forschungspartner konnten etwa zehn Nanometer dünne Schichten aus Rutheniumoxid herstellen – mit zwei verschiedenen Kristallgitter-Orientierungen. Eine Orientierung sollte laut den theoretischen Vorhersagen keinen Hall-Effekt, die andere einen großen anomalen Hall-Effekt zeigen", sagt Šmejkal. Genau dies konnte im Experiment bestätigt werden. Während sich bei der einen Orientierung nur der lineare Hall-Effekt zeigte, der durch die Lorenzkraft hervorgerufen wird, trat im anderem der unkonventionelle Hall-Effekt auf. "Äußerst interessant ist das aus zwei Gründen: Zum einen ist dies das erste lineare System, in dem sich Elektronen auch ohne eine Magnetisierung verlustfrei übertragen lassen. Stattdessen handelt es sich um einen einfachen Magneten mit zwei Subgitterstrukturen – eine Eigenheit, die viele Materialien aufweisen. Zweitens bestätigen diese Daten unsere Theorie des Altermagnetismus", sagt Šmejkal. Diese Theorie haben die Forschenden im Journal Physical Review X letztes Jahr vorgestellt.