Neue Forschungserkenntnisse zum Verhalten von Nanopartikeln bahnen Weg für neuartige medizinische Anwendungen

Nanoteilchen als Hoffnungsträger aktueller und zukünftiger medizinischer Anwendungen

16.10.2013

Unter Federführung der Universitätsmedizin Mainz haben Wissenschaftler in der Fachzeitschrift Nature Nanotechnology neue Erkenntnisse zum Verhalten von Nanopartikeln im menschlichen Körper veröffentlicht. Ob es darum geht, Medikamente punktgenau an den gewünschten Ort zu bringen oder Krankheiten früher zu erkennen – Nanoteilchen sind Hoffnungsträger aktueller und zukünftiger medizinischer Anwendungen. Dieser Rolle wurden sie bisher aber nicht immer gerecht, denn die erhoffte medizinische Wirksamkeit nanobasierter Therapiestrategien stellte sich häufig nicht ein. Manchmal zeigten sich sogar unerwünschte Nebenwirkungen. Die Wissenschaftler fanden jetzt einen möglichen Grund dafür: Direkt nach Einbringen der Nanoteilchen in das Blutsystem verkleiden sich diese mit einer hochkomplexen Hülle aus Eiweißen, der sog. Proteincorona. Diese körpereigenen Eiweiße können verhindern, dass die Nanopartikel ihre Zielzellen erkennen oder sogar Zellen des Blutsystems eigenständig beeinflussen. Die Forschungserkenntnisse liefern nun die Grundlage, um zukünftig Nanoteilchen mit verbesserter medizinischer "Schlagkraft" und idealerweise ohne Nebenwirkung zu entwickeln.

Die Nanotechnologie gilt als wichtiger Hoffnungsträger für verbesserte Diagnose- und Behandlungsmethoden. Bislang hegten die Wissenschaftler die Hoffnung, dass Nanopartikel beispielsweise die diagnostische Bildgebung verbessern können, frühzeitig Krebszellen aufspüren oder Medikamente punktgenau an den gewünschten Wirkungsort bringen. "Dazu werden die Nanoteilchen oftmals mit viel Mühe mit intelligenten Oberflächenstrukturen ausgestattet, die in der Lage sind, selbstständig Krankheitsherde zu erkennen, um dort Wirkstoffe gezielt freizusetzen", erklärt Prof. Dr. Roland Stauber von der Hals-, Nasen- Ohren-Klinik und Poliklinik der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). "Unsere aktuelle Studie belegt nun aber, dass dieses Szenario zur heutigen Zeit mehr einem Wunschdenken als der Realität entspricht", so Stauber.

Durch den Einsatz moderner massenspektroskopischer Verfahren am Institut für Immunologie konnten die Forscher erstmalig zeigen, dass Nanopartikel im Blut bereits nach kürzester Zeit mit weit über hundert verschiedenen Bluteiweißen bedeckt sind. Dadurch kann sich ihre Fähigkeit vermindern, die Zielstrukturen im Körper effektiv zu erkennen. "Überraschend war für uns zudem, dass diese Eiweißhülle über längere Zeit stabil bleibt, und sie bereits frühzeitig mitbestimmt, wie das Blutsystem auf die Winzlinge aus der Nanowelt reagiert", erklärt Dr. Stefan Tenzer, Leiter der Core Facility für Massenspektrometrie am Institut für Immunologie der Universitätsmedizin Mainz. Die Forscher beobachteten, dass sich insbesondere Eiweiße des Blutgerinnungssystems zeitabhängig an den Nanopartikeln festsetzen. "Diese Erkenntnisse sind besonders wichtig für medizinische Anwendungen im Blut", erklärt Dr. Christoph Reinhardt vom Centrum für Thrombose und Hämostase der Universitätsmedizin Mainz (CTH). Bisher waren diese Aspekte von der Fachwelt weitestgehend unbeachtet geblieben. So ging man davon aus, dass nur einige Dutzend verschiedene Bluteiweiße sich langsam an Nanopartikel binden und ein reges 'Kommen und Gehen' dieser Biomoleküle herrscht.

Die Forschungsergebnisse rund um die Kleinstteilchen sind von höchster Relevanz, was deren Veröffentlichung in dem renommierten wissenschaftlichen Journal Nature Nanotechnology untermauert. Eine besondere Würdigung erfuhr die Arbeit durch eine separate Vorstellung der Ergebnisse in der Rubrik "News & Views", die auf herausragende Ergebnisse der aktuellen Ausgabe hinweist.

Die Studie lebt von Interdisziplinarität. Neben der Universitätsmedizin Mainz waren das Max-Planck Institut für Polymerforschung, das Institut für Mikrotechnik Mainz, die Friedrich-Schiller-Universität Jena sowie das Zentrum für Medizinische Biotechnologie der Universität Duisburg-Essen beteiligt.

Den beachtlichen Erfolg für die Forschungsinitiative "Chemische BioMedizin" der Universitätsmedizin Mainz und der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, die sich eine Verbesserung der Werkstoffforschung zum Ziel gesetzt hat, wollen die Forscher nun weiterverfolgen. "Unsere aktuellen Ergebnisse stärken außerdem die Forschungsrichtung des neu etablierten, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Sonderforschungsbereichs 1066: Nanodimensionale Polymere Therapeutika für die Tumortherapie und schaffen eine ideale Basis für zukünftige Interaktionen", betont Prof. Dr. Hansjörg Schild, Sprecher des Forschungszentrums Immunologie. "Wir beginnen jetzt nicht nur die Komplexität und Zeitabhängigkeit der Eiweißhülle zu verstehen, sondern auch, wie die Materialeigenschaften der Nanoteilchen diese Prozesse beeinflussen", erläutert Tenzer. "Damit steigt die Chance, maßgeschneiderte Nanowerkzeuge entwickeln zu können", resümiert Stauber.

"Die Nanomedizin ist zukunftsweisend. Dass es Wissenschaftlern unter unserer Leitung gemeinsam gelungen ist, zentrale Erkenntnisse für die Entwicklung effektiver und sicherer nanomedizinischer Ansätze zu gewinnen, erachte ich als wichtigen Schritt in die richtige Richtung", betont der Wissenschaftliche Vorstand der Universitätsmedizin Mainz, Prof. Dr. Ulrich Förstermann.