Neue DFG-Nachwuchsgruppe am Institut für Physik eingerichtet

Physikerin untersucht mit Forschergruppe die Dynamik von Phasenübergängen in Suspensionen anisotroper Kolloide

29.07.2004

Im Rahmen der Nachwuchsförderung durch das Emmy Noether-Programm hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) die Einrichtung einer neuen Forschergruppe am Institut für Physik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) genehmigt. Dr. Tanja Schilling aus der Arbeitsgruppe "Theorie kondensierter Materie" um Prof. Dr. Kurt Binder erhielt die Bewilligung, eine Emmy Noether-Nachwuchsgruppe mit dem Thema "Dynamik von Phasenübergängen in Suspensionen anisotroper Kolloide" einzurichten.

Zur Förderung des herausragenden wissenschaftlichen Nachwuchses an den Universitäten hat die DFG vor etlichen Jahren das Emmy Noether-Programm geschaffen. Es soll den besten jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern schon frühzeitig eine eigenverantwortliche Tätigkeit in Forschung und Lehre ermöglichen, die sie anschließend zur Übernahme einer Professur qualifiziert. Exzellente junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die nach einer besonders guten Promotion bereits einen mehrjährigen Aufenthalt als "postdoctoral fellow" im Ausland hatten und dadurch internationale Forschungserfahrung aufweisen, können in diesem Programm den Antrag stellen, eine eigene Forschungsgruppe aufzubauen und vier Jahre lang zu leiten. Die DFG hat Dr. Tanja Schilling aufgrund eines solchen Antrags zum Thema "Dynamik von Phasenübergängen in Suspensionen anisotroper Kolloide" eine Stelle als Nachwuchsgruppenleiterin sowie Mittel für zwei Doktoranden und die zugehörigen Sachmittel bewilligt. Dies ist binnen kurzer Zeit bereits das zweite Mal, dass Jungforscher aus der Abteilung "Theorie kondensierter Materie" in diesem äußerst kompetitiven Programm Erfolg haben: Seit Januar 2002 arbeitet Dr. Jürgen Horbach als Leiter einer weiteren Gruppe in diesem Emmy Noether-Programm in Mainz. Diese Gruppe befasst sich ebenfalls mit einem Forschungsthema aus der Kolloidphysik.

Die Physik kolloidaler Suspensionen ist in den vergangenen Jahren in den Blickpunkt des wissenschaftlichen Interesses gerückt. Kolloidale Suspensionen sind trübe Flüssigkeiten wie flüssige Lacke, Milch, Blut und die verschiedensten Pflanzensäfte. Sie spielen sowohl in der Natur als auch in der chemischen Industrie, etwa bei der Herstellung von Zahnpasta und anderen Cremes oder Parfums, und in der Nahrungsmittelindustrie eine wichtige Rolle. Die Trübung entsteht durch flüssige oder feste Schwebeteilchen in der Suspension, die Lineardimensionen vergleichbar der Wellenlänge von sichtbarem Licht haben, das heißt etwa ein tausendstel Millimeter. Mit bloßem Auge kann man die Kolloidteilchen also nicht sehen, jedoch mit einem sehr guten Lichtmikroskop.

In den letzten Jahren wurden experimentelle Techniken entwickelt, die es jetzt möglich machen, sowohl die Dynamik einzelner Schwebeteilchen zu verfolgen, als auch ihre Wechselwirkungen untereinander und die kooperativen Strukturen, die sich in Kollektiven von Kolloidteilchen herausbilden. Diese Kolloidteilchen können nämlich periodische Gitter bilden, wie man sie von den aus Atomen aufgebauten Kristallen kennt (sogenannte "Kolloidale Kristalle", oder unregelmäßige, aber eingefrorene Anordnungen (sogenannte "Kolloidale Gläser" – analog der unregelmäßigen Atomanordnung im Fensterglas). Diese "kolloidalen Festkörper" sind "weiche Materie", da es sich ja "nur" um eine Überstruktur in einer flüssigen Suspension handelt. Daher sind sie durch äußere Felder wie elektrische oder magnetische Felder oder durch mechanische Scherung leicht zu beeinflussen, weshalb man sehr viel über die Physik dieser kooperativen Vorgänge an den kolloidalen Systemen lernen kann.

Der Schwerpunkt des Projekts von Schilling liegt bei der Untersuchung von Strukturänderungen, den sogenannten "Phasenumwandlungen" von einer Kristallstruktur in eine andere. Diese Phasenumwandlungen treten auf, wenn die Schwebeteilchen nicht rund, sondern länglich oder plattenförmig sind. Das kommt in der Natur häufig vor, zum Beispiel bei Suspensionen von Lehm oder Paraffinen, aber auch Viren. Manchmal findet man dann Suspensionen die "flüssigkristallin" sind; dann verhält sich die Suspension ähnlich wie die bekannten "LC-Displays". Eine bisher unbeantwortete Frage, zu deren Aufklärung die neue Forschergruppe beitragen will, ist dabei, wie die Keime der neuen Struktur bei derartigen strukturellen Umwandlungen aussehen: Bei der Keimbildung von Regentröpfchen aus übersättigter Luft erwartet man im wesentlichen kugelförmige Aggregate von Wassermolekülen, die den Startschuss zum Tropfenwachstum geben. Bei stäbchen- oder plattenförmigen Teilchen müssen sich jedoch ganz anders strukturierte Aggregate bilden, über die man noch wenig weiß. Umfangreiche Studien mittels Computersimulation sollen nun beitragen, das Verständnis solcher Experimente wesentlich zu verbessern und vielleicht auch neue Anwendungsfelder für kolloidale Suspensionen zu eröffnen.

Tanja Schilling, geboren im August 1974, studierte Physik in Frankfurt und schrieb anschließend ihre Doktorarbeit, betreut von Prof. Dr. G. Gompper, am Max Planck Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung (Golm) und teils am Institut für Festkörperforschung (Jülich). Nach der Promotion an der Universität Köln arbeitete sie zwei Jahre mit einem Marie-Curie-Fellowship der EU in Amsterdam bei Prof. Daan Frenkel.