Naturstoffsynthesezentrum stärkt Wissenschafts- und Technologiestandort

Kooperation mit Unternehmen bündelt Kompetenz und Potenzial

22.06.2006

Beispielhaftes Projekt für innovative Forschungskooperation und Vernetzung von universitären und außeruniversitären Partnern: Mit der Gründung des Naturstoffsynthesezentrums bündeln die Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU), das Institut für Biotechnologie und Wirkstoff-Forschung IBWF e. V., ein An-Institut der Technischen Universität Kaiserslautern, die BASF AG und Boehringer Ingelheim Kompetenz und Potenzial zur Entwicklung neuer Wirkstoffe für Anwendungen in der Medizin und in der Land- und Forstwirtschaft. "Diese gelungene Kooperation mit weltweit führenden Unternehmen begrüßen und unterstützen wir mit Nachdruck", erklärt der Präsident der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Prof. Dr. Jörg Michaelis, "und das nicht nur, weil unsere Universität als wichtigen Baustein ihrer strategischen Ausrichtung ein Netzwerk vielfältiger Formen der Zusammenarbeit in Wissenschaft und Wirtschaft pflegt. Das neue Zentrum verschafft als sinnvolle Vernetzung durch regionale Kooperation einen Wettbewerbsvorteil und stärkt und profiliert den Wissenschafts- und Technologiestandort Rheinland-Pfalz."

Auch Professor Dr. E. Jürgen Zöllner, Minister für Wissenschaft, Weiterbildung, Forschung und Kultur, sieht in dem neuen, bundesweit einmaligen Forschungsverbund "Naturstoffe als Wirkstoffe und Wirkstoffmodelle" ein Modell für ein enges Miteinander von Wissenschaft und Wirtschaft – und dies zum beiderseitigen Nutzen. "Vier unterschiedliche Partner bringen ihre jeweilige Kompetenz, auch ihre spezifischen Interessen in ein gemeinsames Projekt ein und tragen somit zu einer komplexen Gesamtschau auf einen Sachverhalt bei", so Zöllner.

"Mit diesem in Deutschland einmaligen Kompetenzzentrum zur integrierten Naturstoffforschung entsteht eine Forschungskette, die bei der Gewinnung von Naturstoffen aus biologischem Material beginnt und über die Aufklärung der Struktur dieser Stoffe, deren chemische Nachbildung und Abwandlung bis hin zur biologischen Prüfung der gewonnenen Substanzen nahtlos ineinander greift", erläutert Prof. Dr. Horst Kunz vom Institut für Organische Chemie der JGU. "Indem wir ausgehend von den Naturstoffen deren Strukturen gezielt verändern, sollten sich Wirkstoffe finden lassen, deren gewünschte Wirkung verstärkt, deren unerwünschte Nebenwirkungen aber vermindert sind. So werden Leitlinien aufgedeckt, nach denen wirksame und selektive Pflanzenschutzmittel und Arzneistoffe für die Zukunft entworfen werden können."

Naturstoffe sind organisch-chemische Verbindungen, die von lebenden Organismen gebildet werden und eine lange Historie in der Heilkunde haben. Bekannte Naturstoffe sind etwa das Penicillin zur Behandlung von Infektionskrankheiten oder Ergotamine aus Mutterkornpilzen zur Therapie von Migräne. Die Naturstoffchemie hat in Deutschland eine lange Tradition und ist eng mit dem Aufbau der pharmazeutischen Chemie verknüpft. Auch heute spielen Naturstoffe eine wichtige Rolle als Wirkstoffe: 30 Prozent der weltweit umsatzstärksten Pharmaka sind Naturstoffe, Naturstoffderivate oder von Naturstoffen abgeleitete Syntheseprodukte. Auch im Pflanzenschutz haben Wirkstoffe, die sich von Naturstoffen ableiten, eine große Bedeutung. Beispielhaft hierfür sind die Strobilurine. Sie wurden von Prof. Dr. Timm Anke vom IBWF Kaiserslautern Anfang der 1980er-Jahre aus Pilzkulturen isoliert, zusammen mit Prof. Wolfgang Steglich und von der BASF AG strukturell abgewandelt und als Pflanzenschutzmittel zur Bekämpfung von Pilzerkrankungen mit großem Erfolg auf den Markt gebracht. "Wir freuen uns, dass in unsere langjährige Kooperation mit der BASF und Prof. Dr. Horst Kunz nun auch Boehringer Ingelheim eingebunden ist und hoffen, dass wir auch künftig hilfreiche Forschungsarbeiten zur Entwicklung neuer Produkte bei unseren Industriepartnern beisteuern können“, erklärt Prof. Dr. Timm Anke.

Von der Natur lernen

"Für die Pflanzenschutzforschung der BASF ist das neue Naturstoffsynthesezentrum das Bindeglied zwischen der Isolierung von Naturstoffen wie sie in Kaiserslautern betrieben wird und der anwendungsnahen Arbeit in unseren eigenen Forschungslaboren", ergänzt Dr. Stefan Marcinowski, Vorstandsmitglied der BASF und Sprecher der Forschung, "Innovationen, die auf Naturstoffen basieren, nehmen im Pflanzenschutz einen bedeutenden Platz ein. Wirkstoffsuchforscher haben immer wieder die Baupläne der Natur als Anregung für Ihre Arbeiten genutzt und von der Natur gelernt." Dies bestätigt Dr. Dr. Andreas Barner, stellvertretender Sprecher der Unternehmensleitung Boehringer Ingelheim: "Naturstoffe sind eine interessante Quelle für neue Wirkstoffe. Wir erwarten, dass durch die Verknüpfung mit synthetischen Abwandlungen von Naturstoffen in dem Verbundprojekt erweiterte Chancen für die Identifizierung neuer Wirkstoffe geschaffen werden. In der Kooperation zwischen IBWF, Universität Mainz, BASF und Boehringer Ingelheim sollen Kompetenzen gebündelt werden, die der Naturstoffchemie und der Suche nach innovativen Wirkstoffen für die Pharma- und Pflanzenschutzforschung neue Impulse geben."

Das Anliegen des neuen Forschungsverbunds "Naturstoffe als Wirkstoffe und Wirkstoffmodelle" ist es, zunächst Naturstoffe zu finden, die neuartige biologische Eigenschaften besitzen und sich als Ansatzpunkte für Heilmittel oder Pflanzenschutzmittel eignen. Die Bereitstellung neuer Naturstoffe ist die Aufgabe des IBWF Kaiserslautern, das für die Isolierung und Strukturaufklärung von Naturstoffen eine langjährige Erfahrung aufweist. Interessante Kandidaten werden dann am neuen Naturstoffsynthesezentrum Mainz, das unter dem Dach des Instituts für Organische Chemie entsteht, chemisch nachgebildet bzw. in abgewandelter Form aufgebaut und von Boehringer Ingelheim für pharmazeutische Anwendung und von der BASF AG für Pflanzenschutzanwendung sorgfältig charakterisiert. Von den interessanten Naturstoffen sollen Strukturabwandlungen am Naturstoffsynthesezentrums in Mainz hergestellt werden. Durch die strukturellen Abwandlungen werden Moleküle mit neuen Eigenschaften erhalten, etwa mit neuen Wirkprofilen, mit stärkerer Wirksamkeit oder besserer Verträglichkeit. Damit ergeben sich neue Chancen für die Wirkstoffforschung. Das Projekt verknüpft die klassische Stärke der Naturstoffchemie zur Auffindung neuartiger Moleküle mit interessantem Wirkprofil mit der Stärke der Synthesechemie, Moleküle mit maßgeschneiderten Eigenschaften herzustellen. Die Profilierung der Naturstoffabwandlungen geschieht bei den Partnerfirmen und soll Ansatzpunkte für neue Therapeutika und Pflanzenschutzpräparate liefern. Langfristig ist geplant, die pharmakologischen Wirkungen der synthetisierten Naturstoffe auch in pharmakologischen Untersuchungen und klinischen Therapiestudien an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz zu prüfen.

Die Partner werden sich vorerst auf die Arbeit mit Wirkstoffen aus Pilzkulturen konzentrieren und später auch pflanzliche Wirkstoffe einbeziehen. "Für unsere Doktorandinnen und Doktoranden, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Naturstoffsynthesezentrum wird es eine stimulierende und spannende Herausforderung sein, auf diesem Gebiet zu arbeiten", betont Kunz. Ihre erste Aufgabe ist es, die ausgewählten Stoffe durch chemische Synthese im Labor identisch nachzubauen. Eine solche Synthese kann ohne Weiteres aus mehr als 25 Einzelschritten bestehen, bevor am Ende das Ebenbild des betreffenden Naturstoffs gewonnen ist. Die zweite Aufgabe ist es dann, die naturidentischen Substanzen in neuen Syntheseprogrammen strukturell so abzuwandeln, dass sie ihre positiven Wirkungen möglichst ohne unerwünschte Nebenwirkungen entfalten können, was gerade in der Humanmedizin besonders erstrebenswert ist. Im Pflanzenschutz wird angestrebt, die Stoffe stabiler gegen Licht, Wärme oder Feuchtigkeit zu machen.

Das Naturstoffsynthesezentrum Mainz ist zumindest in der Aufbauphase ins Institut für Organische Chemie integriert. Zu einem späteren Zeitpunkt könnte das Zentrum Schwerpunktforschung im interdisziplinären Bereich zwischen Chemie und molekularer Biologie und Medizin anstoßen und vorantreiben.

Beispielhaft für neuen Ansatz in der Technologieförderung des Landes

Das neue Kompetenzzentrum steht beispielhaft für den neuen Ansatz der Landesregierung in der Technologieförderung: "Wir wollen den Transferprozess von der Idee zum Produkt verbessern und damit eine neue Qualität der Verzahnung von Wissenschaft und Wirtschaft erreichen. Genau dies geschieht hier, und deshalb bin ich allen Beteiligten dankbar, dass sie an diesem Projekt mitwirken", so Zöllner. Das Land Rheinland-Pfalz will das Kompetenzzentrum in den kommenden Jahren großzügig unterstützen.