Mainzer Physiker an Entwicklung von hochkomplexem und dennoch miniaturisiertem Lasersystem für Verbundvorhaben zur Quantentechnologie beteiligt
05.12.2023
Am 2. Dezember 2023 um 08:30 Uhr mitteleuropäischer Zeit ist die Mission MAIUS-2 mit einem experimentellen Aufbau zur Erzeugung und Untersuchung von atomaren Quantensystemen vom Raumfahrtzentrum Esrange bei Kiruna (Nordschweden) aus erfolgreich ins Weltall gestartet. Ziel der Mission war die erstmalige gleichzeitige Erzeugung von Bose-Einstein-Kondensaten aus zwei verschiedenen atomaren Spezies (Rubidium und Kalium) während eines Höhenforschungsraketenflugs. Außerdem sollten deren Eigenschaften sowie ihr Zusammenspiel in Schwerelosigkeit studiert werden. Da im Flug bei einem Teil des Lasersystems eine Fehlfunktion auftrat, konnte nur die Erzeugung von Bose-Einstein-Kondensaten aus Rubidium, nicht aber aus Kalium (und entsprechend auch keine Gemische) realisiert und studiert werden. Dennoch können aus den vorangegangenen Messungen am Boden und den Untersuchungen während des Fluges zahlreiche Erkenntnisse gewonnen werden. Auch die für die Mission entwickelten Technologien werden bei der Realisierung von zukünftigen Weltraummissionen von großer Bedeutung sein.
Seitens der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) ist die Forschungsgruppe Experimentelle Quantenoptik und Quanteninformation um Prof. Dr. Patrick Windpassinger und Dr. André Wenzlawski beteiligt: In enger Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen der Humboldt-Universität zu Berlin und des Ferdinand-Braun-Instituts in Berlin sowie der Universität Hamburg entwickelten sie das hochkomplexe und dennoch miniaturisierte Lasersystem für die Mission. Dass diese Technologie für die Nutzung im Weltraum weitestmöglich verkleinert wird und dabei trotzdem funktionsfähig bleibt, ist eine wesentliche Grundlage für zukünftige Experimente, wie zum Beispiel für das geplante amerikanisch-deutsche Atomlabor "Bose Einstein Condensate and Cold Atom Laboratory (BECCAL)" auf der Internationalen Raumstation (ISS).
Bei Bose-Einstein-Kondensaten handelt es sich um einen exotischen Zustand der Materie, bei dem die Atome eine Temperatur von weniger als einem Millionstel Grad über dem absoluten Nullpunkt besitzen. Bose-Einstein-Kondensate bieten aufgrund ihrer extrem niedrigen Temperaturen die Möglichkeit, quantenmechanische Phänomene auf makroskopischer Ebene zu beobachten. Dies ermöglicht hochpräzise Messungen und eröffnet neue Möglichkeiten für die Erforschung der grundlegenden Naturkräfte. So soll beispielsweise die Universalität des freien Falls zukünftig mit Hilfe der Atominterferometrie auf die Probe gestellt werden. Atominterferometer basieren auf der Interferenz von Materiewellen, den Bose-Einstein-Kondensaten. Auch für eine genauere und hochaufgelöste Messung des Erdschwerefelds oder für die Navigation von zukünftigen Raumsonden stellen weltraumgestützte Atominterferometer einen vielversprechenden Ansatz dar.
Die Herausforderungen
Zur Erzeugung von Bose-Einstein-Kondensaten werden die Atome zunächst mit Lasern und Magnetfeldern abgekühlt und gefangen. Aus einer sogenannten Magnetfalle werden anschließend die energiereichsten Atome durch das Einstrahlen von Mikrowellen entfernt. Hierdurch gelingt die Kühlung unterhalb der kritischen Temperatur von weniger als minus 273 Grad Celsius, und ein Bose-Einstein-Kondensat wird erzeugt. 2017 gelang im Rahmen des Projekts MAIUS-1 erstmals die Erzeugung eines Bose-Einstein-Kondensats im All. MAIUS-1 wurde bereits als eines der komplexesten Experimente, welches je auf einer Höhenforschungsrakete geflogen ist, betitelt. In MAIUS-1 wurden Bose-Einstein-Kondensate mit Rubidium-Atomen erzeugt und erstmals Atominterferometrie im Weltraum durchgeführt.
In der neu entwickelten Nachfolge-Nutzlast sollten nun weitere vorbereitende Experimente für die Atominterferometrie mit zwei atomaren Spezies (Rubidium und Kalium) durchgeführt werden. Da zur Kühlung und Detektion der Atome Laserlicht nahe ihrer spezifischen Resonanzfrequenzen verwendet wird, ist es erforderlich, die doppelte Anzahl von Lasern inklusive der zu ihrem Betrieb erforderlichen Elektronik in die Nutzlast zu integrieren. Eine technologische Herausforderung für das Team der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler: Trotz der gesteigerten Komplexität der Nutzlast mussten die Masse und das Volumen des Aufbaus annähernd konstant gehalten werden.
Die Mission
In den etwa fünfeinhalb Minuten im Weltraum konnte die Erzeugung von Bose-Einstein-Kondensaten mit Rubidium demonstriert und deren Verhalten im freien Fall untersucht werden. Zudem konnten die Forschenden die Erzeugung und das Verhalten kalter Atomwolken während der Brenndauer der Rakete untersuchen. Die Ergebnisse werden derzeit noch untersucht, und auch der Grund der Fehlfunktion ist Ziel einer eingehenden Untersuchung. Für abschließende Erklärungen oder Ergebnisse ist es allerdings derzeit noch zu früh.
"Die hier entwickelten Technologien und Experimente werden zukünftige Missionen auf Forschungsraketen und der Internationalen Raumstation ermöglichen und stellen somit einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg zur Nutzung von Quantensensoren im Weltraum dar," erklärt André Wenzlawski, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Gruppe Windpassinger. Ein tiefgehendes Verständnis dieser Techniken und des Verhaltens der Gemische ist nicht nur für die Folgemission MAIUS-3, sondern auch für zukünftige Missionen auf der Internationalen Raumstation oder auf Satelliten essenziell. In diesen Experimenten sollen mit Hilfe von Atominterferometern im Weltraum bisher unerreichte Genauigkeiten erzielt werden. Die MAIUS-Höhenforschungsraketen leisten dabei Pionierarbeit für weitere Experimente mit kalten Atomen und Atominterferometern im Weltall.
Deutscher Forschungsverbund realisiert die Mission
Die Mission MAIUS-2 (Materiewellen-Interferometrie unter Schwerelosigkeit) wurde im Rahmen des Projektes QUANTUS IV – MAIUS durchgeführt. Dieses Projekt steht unter der Leitung des Zentrums für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM) an der Universität Bremen im Verbund mit der Leibniz Universität Hannover, der Humboldt-Universität zu Berlin und dem Ferdinand-Braun-Institut, Leibniz-Institut für Höchstfrequenztechnik (FBH) in Berlin sowie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Dem Forschungsverbund gehören außerdem das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) Institut für Satellitengeodäsie und Inertialsensorik in Hannover, das DLR-Institut für Softwaretechnologie in Braunschweig, die Universität Hamburg und die Mobile Raketenbasis des DLR (MORABA) an, welche auch die Startkampagne durchgeführt hat. Koordiniert und unterstützt wird das Projekt vom DLR Raumfahrtmanagement mit Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK).