Physiker veröffentlichen bislang genaueste Messung einer fundamentalen Eigenschaft des Antiprotons / Beitrag zur Materie-Antimaterie-Frage
19.01.2017
So offensichtlich es ist, dass Materie existiert, ebenso rätselhaft ist noch immer ihre Herkunft. Denn eigentlich hätte nach den Prinzipien der Teilchenphysik bei der Entstehung des Weltalls genauso viel Materie wie Antimaterie gebildet werden müssen – und beide hätten sich in einem Prozess, den Physiker Annihilation oder Paarvernichtung nennen, aufgelöst. Tatsächlich zeigt unser Universum aber ein offensichtliches Ungleichgewicht zugunsten von Materie. Wissenschaftler suchen daher nach dem kleinen Unterschied zwischen einem Teilchen und seinem Antiteilchen, der die Existenz von Materie erklären könnte. Die BASE-Kollaboration am Forschungszentrum CERN hat bei dieser Suche neue Maßstäbe gesetzt, indem sie eine wichtige Eigenschaft des Antiprotons mit höchster Genauigkeit vermessen konnte. Der g-Faktor, ein Maß für das magnetische Moment, wurde dabei gegenüber früheren Messungen um den Faktor sechs verbessert.
Die Idee, dass so etwas wie Antimaterie existieren müsste, kam Ende der 1920er-Jahre auf. Nur wenige Jahre später wurden erstmals Positronen, die Antiteilchen von Elektronen, entdeckt. Während Positronen auf der Erde natürlicherweise vorkommen, müssen Antiprotonen, die Antiteilchen von Protonen, allerdings künstlich erzeugt werden. Der Speicherring "Antiproton Decelerator" des CERN produziert gekühlte Antiprotonen in großer Menge für ganz unterschiedliche Antimaterie-Studien. Bei den Experimenten der BASE-Gruppe, an der die Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) beteiligt ist, werden tiefgekühlte Antiprotonen einzeln in einer elektromagnetischen Teilchenfalle untersucht.
Der Aufbau besteht aus drei Penningfallen: Eine Vorratsfalle bewahrt eine Wolke von Antiprotonen für den Versuch auf und liefert einzelne Teilchen an die Komagnetometerfalle und an die eigentliche Analysefalle. Die Komagnetometerfalle wird zur kontinuierlichen Überwachung des Magnetfelds genutzt. Die Analysefalle wiederum wird von einer extrem großen magnetischen Flasche überlagert, welche eine Inhomogenität von 300 Kilotesla pro Quadratmeter aufweist.
Diese ultrastarke magnetische Flasche ist notwendig, um überhaupt die Spin-Flip-Technik anwenden zu können, die vom Nobelpreisträger Hans Georg Dehmelt 1987 für die Vermessung des magnetischen Moments des Elektrons und des Positrons entwickelt wurde. "Die Herausforderung ist in unserem Fall aber wesentlich größer, weil das magnetische Moment des Protons und des Antiprotons im Vergleich dazu etwa 660 Mal kleiner ist", schreiben die BASE-Wissenschaftler in einer Veröffentlichung von Nature Communications. Das Prinzip für die Vermessung einzelner Protonen wurde vor rund fünf Jahren unter Mitwirkung der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Jochen Walz am Institut für Physik der JGU entwickelt. Mit einer Hochpräzisionsmessung des Protons aus dem Jahr 2014 nimmt die Arbeitsgruppe unangefochten die Spitzenstellung in diesem Forschungsfeld ein.
G-Faktor mit sechsfach höherer Genauigkeit gemessen
Die Vermessung des Antiprotons folgt diesem Beispiel. Der g-Faktor wurde anhand von sechs Messungen mit einer Genauigkeit von 0,8 Millionstel bestimmt. Der Wert von 2,7928465(23) ist sechs Mal genauer als der bisherige Rekordhalter einer anderen CERN-Forschungsgruppe aus dem Jahr 2013. Noch im Jahr 2011 war das magnetische Moment des Antiprotons nur auf drei Nachkommastellen genau bekannt. Das neue Ergebnis ist konsistent mit dem 2014 in Mainz gemessenen g-Faktor des Protons von 2,792847350(9). "Das bedeutet, dass wir innerhalb der experimentellen Messunsicherheit keinen Unterschied zwischen Protonen und Antiprotonen ausmachen können. Auf diesem Niveau stimmt unsere Messung mit den Erwartungen des Standardmodels überein", erklärt Dr. Stefan Ulmer, Sprecher der BASE-Kollaboration am CERN und früherer Mitarbeiter in der AG Walz.
Proton und Antiproton erscheinen somit weiterhin spiegelsymmetrisch und bieten vorerst noch keinen Ansatzpunkt für eine Erklärung, weshalb Materie überhaupt existiert und sich nicht in den ersten Augenblicken des Urknalls zerstrahlt hat. Die BASE-Kollaboration will in Zukunft aber noch einen Schritt weiter gehen und die Präzision ihrer Messungen weiter erhöhen, indem mit einer Doppelpenningfalle gearbeitet wird, eine schwierigere Technik, die für die Mainzer Proton-Messungen 2014 verwendet wurde und eine tausendfach höhere Genauigkeit bietet.
"Die Asymmetrie zwischen Materie und Antimaterie ist so offenkundig, irgendetwas muss passiert sein, das im Rahmen der modernen Physik bisher nicht verstanden ist. Unsere große Motivation ist es, Ansätze zu finden, die zur Lösung dieses spannenden Rätsels beitragen", erklärt Ulmer zu den weiteren Vorhaben. Außer der Johannes Gutenberg-Universität Mainz sind an den Forschungsprojekten auch das japanische Forschungszentrum RIKEN, das Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg, die Leibniz Universität Hannover und das GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt beteiligt.