Leibniz-Forschungsprojekt "Wheatscan" zur Aufklärung der Ursachen für Weizenunverträglichkeiten gestartet

Wissenschaftler der Universitätsmedizin Mainz sind an interdisziplinärem Forschungsnetzwerk beteiligt

01.08.2016

Die Anzahl der von Glutensensitivität, Weizenallergie und Zöliakie betroffenen Menschen ist in den letzten Jahren stark angestiegen. Bestandteile des Weizens werden für das Chaos im menschlichen Körper verantwortlich gemacht. Doch was genau führt zu der Kausalkette von Körpervorgängen, die in ihrer Gesamtheit das Krankheitsbild Weizenunverträglichkeit (NCWS) nach sich zieht? Dies ist die zentrale Frage des Forschungsprojekts Wheatscan, das die Leibniz-Gemeinschaft für die Dauer von drei Jahren mit 1,14 Millionen Euro fördert. Zum Wheatscan-Forschungskonsortium zählen national und international führende Getreidechemiker, Pflanzenforscher, Bioinformatiker, Immunologen und Gastroenterologen wie der Direktor des Instituts für Translationale Immunologie (TIM) an der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU), Prof. Dr. Dr. Detlef Schuppan.

"Weizenunverträglichkeiten sind durch populärwissenschaftliche Bücher wie 'Weizenwampe' und 'Dumm wie Brot' in der öffentlichen Wahrnehmung hochpräsent, und eine glutenfreie Ernährung liegt in den westlichen Industrienationen auch ohne klare medizinische Notwendigkeit im Trend. Extrem problematisch bei diesen Büchern ist, dass Thesen, die auf soliden wissenschaftlichen Ergebnissen beruhen, mit theoretischen, kontrovers diskutierten und falschen Behauptungen, die jeglicher Evidenz entbehren, vermischt werden", so Prof. Dr. Dr. Schuppan, der mit seinen Mitarbeitern ein zentraler Teil des Wheatscan-Konsortiums ist. "Das Forschungsprojekt Wheatscan zielt darauf ab, wissenschaftlich fundiert die Ursachen für Weizenunverträglichkeiten zu erforschen", ergänzt der Direktor des TIM.
Zentrale Arbeitshypothese von Wheatscan ist, dass sich in den letzten 100 Jahren durch Züchtung neuer Sorten und moderne Anbaumethoden die Proteinzusammensetzung im Weizen verändert hat. "Wir haben Grund zu der Annahme, dass moderne Sorten im Vergleich zu alten Sorten ein höheres immunstimulatorisches Potential aufweisen und somit die körpereigene Immunabwehr anregen. Dies wäre auch eine plausible Ursache dafür, warum immer mehr Menschen an Weizenunverträglichkeit leiden", betont Prof. Dr. Dr. Schuppan.

Das Forschungsprojekt soll Antworten auf drei Kernfragen geben: Welchen Einfluss hatte die Weizenzüchtung der letzten 100 Jahre auf die Genexpression, das heißt die Umsetzung der Erbinformation in Proteine, die Proteinzusammensetzung und das Potential zur Auslösung von Immunreaktionen? Welche Marker gibt es auf Ebene der Gene, Proteine und Peptide für Weizensorten mit niedrigem immunstimulatorischen Potential? Sind Weizensorten mit niedrigem immunstimulatorischen Potential für Patienten mit Weizenunverträglichkeit (NCWS) besser verträglich und welche bisher unbekannten Inhaltsstoffe aus Weizen tragen zur Auslösung der NCWS bei?

Die Aufklärung des Pathomechanismus der NCWS und der verantwortlichen Proteine im Weizen sind Gegenstand des Wheatscan-Konsortiums. Während Gluten als Ursache nicht vollständig ausgeschlossen ist, scheinen nach den jüngsten Forschungen von Prof. Dr. Dr. Schuppan und seinem Team Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATIs) aus glutenhaltigen Getreiden eine prominente Rolle als Aktivatoren der angeborenen Immunantwort im Darm zu spielen. Sie gelten als wahrscheinliche Auslöser der NCWS. Neben einer eingehenderen Analyse der ATIs, will Prof. Dr. Dr. Schuppan im Rahmen von Wheatscan weitere Faktoren aus glutenhaltigen Getreiden auf ihre immunstimulatorische Bedeutung untersuchen. Da es derzeit noch keine verlässlichen diagnostischen Marker gibt, beruht die Diagnose auf dem Ausschluss insbesondere der Zöliakie, Weizenallergie, anderer Nahrungsmittelunverträglichkeiten und des Reizdarmsyndroms. Als Therapie dient eine gluten- und damit weizen- (roggen-, gerste-, dinkel-, emmer-, einkorn-) freie Diät.
Wissenschaftlich gesichert ist die Tatsache, dass bestimmte Weizenproteine entzündliche Reaktionen hervorrufen können. Dazu gehören die Zöliakie, eine entzündliche Reaktion des Dünndarms auf Gluten, das Klebereiweiß des Weizens, in genetisch veranlagten Patienten, die Weizenallergie (unter anderem Bäcker-Asthma) und die Nicht-Zöliakie-Glutensensitivität oder besser Weizensensitivität (NCWS). Über die erstmalig in den 1980er-Jahren beschriebene NCWS ist noch relativ wenig bekannt. Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu sechs Prozent der Bevölkerung von NCWS betroffen sein könnten.
Zum Krankheitsbild NCWS zählten bisher den Darm betreffende Beschwerden wie Bauchschmerzen, Verstopfung, Durchfall oder Blähungen und systemische Beschwerden wie Kopfschmerzen oder Müdigkeit. "Wichtiger ist eine vermutete und teilweise belegte Verschlimmerung entzündlicher Erkrankungen wie beispielsweise allergisches Asthma, multiple Sklerose, systemischer Lupus erythematodes unter Weizenverzehr", unterstreicht Prof. Dr. Dr. Schuppan.

So fördert zum Beispiel die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen des gerade in der Verlängerung bewilligten Transregio-SFB128 (Multiple Sklerose) eine klinische Studie zwischen Mainz und Münster zur Rolle von Weizen (ATIs) in Patienten mit multipler Sklerose. Weitere Studien, unter anderem in Patienten mit systemischem Lupus und entzündlichen/allergischen Hauterkrankungen in Mainz sind in Planung.

Aufgrund der multidisziplinären Fragestellung des Wheatscan-Projektes ist das Ziel des geplanten Vorhabens nur durch die nationale Vernetzung der führenden Forschungsstellen auf den Gebieten der Getreidechemie umsetzbar. Dazu zählen neben dem Institut für Translationale Immunologie an der Universitätsmedizin Mainz das Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie an der Technischen Universität München (Leibniz-LSB@TUM), das Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben, der Bereich Bioinformatik am Helmholtz-Zentrum München, Neuherberg (HMGU) und die Abteilung für Gastroenterologie am Universitätsklinikum Erlangen (UKE).

"Spannend ist am Forschungsprojekt Wheatscan insbesondere auch, dass wir das immunstimulatorische Potential von 60 deutschen Weizensorten der letzten 100 Jahre untersuchen. Hierauf basierend gilt es, die Grundlage für die Entwicklung neuer Weizensorten mit geringem Potential zur Auslösung von Weizenunverträglichkeiten zu schaffen. Insgesamt soll ein entscheidender Beitrag zur Verbesserung der Diagnostik und zur weiteren Aufklärung des Pathomechanismus der NCWS geleistet werden. Ferner führen wir im Rahmen diese Projektes gerade eine Provokationsstudie an Patienten mit klinisch eindeutiger NCWS durch, um Blutmarker der NCWS zu finden", sagt Prof. Dr. Dr. Schuppan.