Künstlicher Hagel für genauere Wetterprognosen

Mainzer Windkanal liefert wichtige Daten für die Vorhersage von Starkregen-, Hagel- und Graupelniederschlag

22.03.2022

GEMEINSAME PRESSEMITTEILUNG DES MAX-PLANCK-INSTITUTS FÜR CHEMIE UND DER JOHANNES GUTENBERG-UNIVERSITÄT MAINZ

Das Tief "Bernd" hat im Sommer 2021 die Gefahren extremer Niederschlagsereignisse mit katastrophalen Überschwemmungen besonders drastisch demonstriert. Und Wetteraufzeichnungen zeigen, dass in unseren Breiten Extremereignisse wie Trockenheit, aber auch Starkregen oder Hagel im Zusammenhang mit dem Klimawandel häufiger und ihre Auswirkungen heftiger werden. So können Hagelkörner schwere Schäden in der Landwirtschaft, an Gebäuden und Fahrzeugen hinterlassen sowie für Mensch und Tier gefährlich werden. Umso wichtiger ist es, dass Wettermodelle das Auftreten und das Ausmaß von Niederschlägen bestmöglich vorhersagen. Diese Computermodelle müssen allerdings die relevanten wolkenphysikalischen Prozesse mathematisch präzise formuliert enthalten.

Hier liefert der weltweit einmalige vertikale Windkanal der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) essenzielle Ergebnisse durch neue Experimente, die mit künstlichen Hagelkörnern aus einem 3-D-Drucker durchgeführt werden. "Wir haben beispielsweise herausgefunden, dass die Form der Hagelkörner entscheidend für ihre Geschwindigkeit vor dem Aufschlag ist", sagt Dr. Miklós Szakáll vom Institut für Physik der Atmosphäre (IPA) der JGU. Die Forschenden um den Atmosphärenphysiker konnten zeigen, dass genoppte Hagelsteine eine geringere kinetische Energie und somit weniger Zerstörungskraft besitzen als ungleichmäßig geformter glatter Hagel.

Hagel und Graupel entstehen, wenn Wassertropfen in Gewitterwolken gefrieren. Turbulenzen und komplexe physikalische Prozesse innerhalb dieser sehr hoch reichenden Wolken führen zum Gefrieren des Wassers. Erreichen diese Eisteilchen beim Herunterfallen wärmere Schichten, schmelzen sie. So entstehen große, kalte Regentropfen, die den häufig extremen Niederschlag bilden. Reicht die Fallzeit der Eisteilchen bis zum Boden nicht aus, um sie vollständig zu schmelzen, so besteht der Niederschlag aus Graupel oder Hagel.

Experimente mit echten und künstlichen Hagelkörnern

Je nach Bedingungen in der Wolke erhalten die gefrorenen Teilchen ihre charakteristische Form, Größe und Masse. "Wir konnten in unseren Experimenten mit echten Hagelkörnern zeigen, wie sie beim Schmelzen zu Regentropfen werden, die mehrere Millimeter groß sind. Auch zerplatzen große Hagelsteine während des Schmelzprozesses, wobei zahlreiche kleine Wassertröpfchen entstehen", erläutert Szakáll. Der Wissenschaftler leitete aus den Messungen Parametrisierungen als wesentliche Bestandteile für die numerische Simulation von Wolken und Niederschlag in Computermodellen ab.

Für die Experimente stellte das Mainzer Team echte Hagel- und Graupelkörner im Labor her und analysierte im vertikalen Windkanal unter realen Temperatur- und Feuchtigkeitsbedingungen, wie genau die Körner fallen beziehungsweise schmelzen. Zusätzlich erzeugten die Wissenschaftler nach Vorlagen realer Körner mit einem 3-D-Drucker künstliche Hagel- und Graupelkörner, bei denen sogar die Materialdichte mit Eis übereinstimmte. Hiermit können die Strömungseigenschaften der fallenden Objekte gemessen werden, was für die mikrophysikalischen Prozesse der Extremniederschläge besonders wichtig ist.

In dem sechs Meter hohen Windkanal schwebten die Hagel- und Graupelkörner frei in einem künstlich erzeugten, vertikalen Luftstrom. Dabei wurden sie mithilfe von Hochgeschwindigkeits- und Infrarotkameras sowie einem speziell entwickelten holografischen Bildaufzeichnungssystem beobachtet. "Wendet man unsere durch diese Experimente gewonnene mikrophysikalische Beschreibung des Niederschlags auf Modelle zur Berechnung von Gewitterwolken an, kann man ihre Folgen besser voraussagen", erläutert Prof. Dr. Stephan Borrmann, Professor am IPA und Direktor am Max-Planck-Institut für Chemie. "Dies ist besonders in Hinblick auf die infolge des Klimawandels auch in unseren Breiten zu erwartende Zunahme von Extremereignissen wie Trockenheit und Starkregen sehr wichtig", ordnet Borrmann die Ergebnisse ein.

Die Mainzer Experimente wurden im Rahmen des HydroCOMET-Projekts der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) durchgeführt und in fünf peer-reviewten Publikationen sowie einem Buchbeitrag veröffentlicht. Die wissenschaftlichen Gutachter, die die Ergebnisse von HydroCOMET abschließend evaluierten, kommentierten die Mainzer Laborexperimente und Publikationen sehr positiv und betonten die Relevanz der zugrunde liegenden Infrastruktur, also des Vertikalwindkanals.