Himmelsscheibe von Nebra wurde nach Vulkanausbruch geopfert

Wissenschaftler der Universitäten Mainz und Halle vermuten Entweihung des Kultsymbols

10.08.2010

Die Himmelsscheibe von Nebra ist einer der bedeutendsten archäologischen Funde des vergangenen Jahrhunderts. Sie gibt in ihrer Abbildung des Sternennetzes einen Einblick in das Wissen über den Weltenlauf und seine religiöse Deutung in der Bronzezeit. Archäologen und Wissenschaftler der Universitäten Mainz und Halle stellten jetzt eine neue These als Antwort auf die Frage vor, warum die älteste konkrete Sternenabbildung der Welt vor 3.600 Jahren scheinbar plötzlich an Bedeutung verloren hatte, entweiht und vergraben wurde: "Auslöser war vermutlich eine Vulkanexplosion auf der Mittelmeerinsel Thera nördlich von Kreta", fasst François Bertemes, Leiter des Instituts für Prähistorische Archäologie Mitteleuropas der Universität Halle, die neuen Erkenntnisse zusammen. Die in der Folge hoch aufsteigende Vulkanasche verfinsterte für 20 bis 25 Jahre den Himmel bis nach Mitteleuropa, es wurde kälter. Kühle und nasse Sommer mit verheerenden Missernten wurden durch außergewöhnlich kalte Winter abgelöst. Während in der Nacht die Sterne kaum zu sehen waren, zeigten sich die Sonnenuntergänge aufgrund der Lichtbrechung an den Aschepartikeln in der Atmosphäre blutrot. "Die bronzezeitlichen Menschen, die dem Sonnenkult huldigten, waren in großer Angst und fühlten sich schutzlos", so Bertemes. "Mit den unerklärlichen Veränderungen hatten die damaligen Menschen offenbar ihren Glauben an die Götter verloren. Sie stellten die Priesterschaft und ihre Rituale infrage."

"Die Vorgänge in der Natur haben die prähistorischen Menschen in Mitteleuropa mit großer Sicherheit sehr durcheinandergebracht", fügt Prof. Dr. Frank Sirocko vom Institut für Geowissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) hinzu. "Das war mit Sicherheit eine Zäsur in der Bronzezeit und es ist kein Zufall, dass die Nutzung der Ringanlage von Stonehenge vor 3.600 Jahren endete und die Himmelsscheibe von Nebra vergraben wurde." Auch die Untergänge der Reiche der Hethiter und Minoer im Mittelmeergebiet führt Sirocko auf dieses Naturereignis zurück. In jahrelanger Kleinarbeit hat Sirocko mit seiner Arbeitsgruppe die Auswirkungen von Wetter und Klima auf die Menschheitsentwicklung analysiert. Er kommt zu dem Schluss, dass die Hauptinsel Thera des kleinen Archipels Santorin nördlich der Insel Kreta nach neuesten Untersuchungen vor genau 3.620 Jahren von einer Vulkaneruption schwer zerstört wurde.

Die Himmelsscheibe ist nach den jüngsten Forschungen ein kombinierter Sonnen- und Mondkalender: Die Sonne gibt Tag und Jahr an, der Mond bestimmt den jeweiligen Monat. Am Ende ihrer etwa 400 Jahre langen Nutzung war die Scheibe als Insignium der Macht mit Sonne, Mond und Sternen jedoch wertlos geworden. Schließlich wurde das Symbol des alten Kults entweiht und zusammen mit zwei goldverzierten Schwertern, bronzezeitlichen Spiralringen und Bronzebeilen an einem heiligen Ort auf dem Mittelberg bei Nebra in Sachsen-Anhalt vergraben und damit den Göttern geopfert. "Möglicherweise sollte diese Handlung die Götter gnädig stimmen und sie dazu bewegen, die alten Zustände wiederherzustellen", erklärt Bertemes.

Sondengänger hatten im Sommer 1999 auf dem 252 Meter hohen Mittelberg bei Nebra im Burgenlandkreis in Sachsen-Anhalt in einem Waldstück knapp unter der Erdoberfläche einen Bronzeschatz ausgewühlt, der auch die Himmelsscheibe enthielt. Im Februar 2002 konnte die Polizei bei einer fingierten Verkaufsaktion in der Schweiz den Hehlern das wertvolle Stück entreißen. Seit 2008 ist die Himmelsscheibe in der Dauerausstellung des Museums für Vorgeschichte in Halle zu sehen.