Wissenschaftler edieren das knapp 300-seitige Manuskript
04.09.2007
In der Mainzer Martinus-Bibliothek ist die Handschrift eines jüdischen Purim-Spiels aus dem Jahr 1751 wiederentdeckt worden. Das bislang unerforschte jiddische Manuskript wird nun mit Unterstützung der Fritz Thyssen-Stiftung an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) ediert und übersetzt. "Die Handschrift ist etwas ganz Besonderes, weil es sich um ein sehr gut erhaltenes Stück handelt", erläutert Prof. Dr. Andreas Lehnardt vom Seminar für Judaistik an der JGU. "Eine geplante Veröffentlichung in den 1930er-Jahren ist von den Nationalsozialisten verhindert worden und wir haben nun die schöne Aufgabe, das einst geplante Werk zu vollenden." Als Purim-Spiel wird die dramatische Widergabe des biblischen Esther-Buchs bezeichnet, die seit dem 16. Jahrhundert in vielen deutschen Gemeinden üblich war und heute noch beispielsweise in orthodox-chassidischen Gemeinschaften in New York Brauch ist.
Das Purim-Fest erinnert an die Errettung des jüdischen Volkes vor der drohenden Vernichtung in der Verbannung. Im Buch Esther, einem Buch des Alten Testaments, wird beschrieben, wie Haman, ein Statthalter des persischen Königs, die Vernichtung sämtlicher Juden im Perserreich geplant hat. Königin Esther konnte dies jedoch abwenden und Haman wurde am Galgen hingerichtet. Das Fest, das im Frühjahr gefeiert wird, gehört zu den wichtigsten Freudentagen im Judentum. Vor allem Kinder verkleiden sich dabei gern und oft wird es mit dem christlichen Karneval verglichen. "Es bot immer auch eine Möglichkeit Dampf abzulassen, oft war Alkohol im Spiel, sodass es an Purim meist hoch herging", erläutert Lehnardt. Bei den Festen, die in der Judengasse einer Stadt stattfanden, kam im 16. Jahrhundert der Brauch auf, die Rettungsgeschichte nicht nur zu erzählen, sondern auch als Theaterspiel aufzuführen. Die Charaktere bei diesen Aufführungen wurden mit parodisierenden oder auch vulgären Zügen ausgestattet. "Haman wird beispielsweise als Dummkopf dargestellt, als grobschlächtiger Kerl, der versucht, die Juden zu hintergehen", so Lehnardt.
Bei der in der Martinus-Bibliothek entdeckten Handschrift handelt es sich um ein Stück, das in Frankfurt zur Aufführung kam, dann aber vom Rat der Stadt verboten wurde. Dieses Verbot, dessen Hintergründe aufgrund neuester Aktenfunde geklärt werden konnten, dürfte auch die Ursache sein, weshalb das Stück mit einem Umfang von 285 Seiten nur bis Seite 80 aus dem Jiddischen ins Deutsche übersetzt worden ist. Das Manuskript gelangte in den Besitz von Fritz Schlosser, einem Freund Goethes, und kam nach dessen Tod an das bischöfliche Seminar in Mainz. Eine im Jahr 1932 geplante Veröffentlichung scheiterte an der politischen Situation.
Das Stück mit dem Titel "Le-Haman", geschrieben von Löb Oks, einem bekannten Bewohner der Frankfurter Judengasse, ist für die Mainzer Wissenschaftler ein Glücksfall. "Normalerweise wurden die Spiele nicht aufgeschrieben, sondern mündlich weitergegeben – das hier ist eine ganz besondere Ausnahme", betont Prof. Dr. Andreas Lehnardt. Für Theaterwissenschaftler stellt das Manuskript eine herausragende Quelle für die Geschichte des jüdischen Theaters dar.