Modellsysteme auf Basis von Viruskapsiden zeigen, wie große Biomoleküle in den Zellkern vordringen / Je größer das Molekül, desto mehr Kernlokalisierungssignale sind nötig
30.07.2020
Eine neue Studie aus dem Bereich der Biophysik zeigt, wie es großen Molekülen gelingt, in den Kern einer Zelle vorzudringen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Prof. Dr. Edward Lemke von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) liefern damit wichtige Erkenntnisse darüber, wie beispielsweise auch Viren in einen Zellkern gelangen, wo sie sich weiter vermehren können. Sie zeigen außerdem, dass die Effektivität des Transports mit der Größe der Moleküle abnimmt und wie entsprechende Signale auf der Oberfläche dies kompensieren können. "Wir konnten neue Einsichten in den Transport großer Biostrukturen gewinnen und gleichzeitig ein einfaches Modell entwickeln, das diesen Transport beschreibt", so Lemke. Der Wissenschaftler ist biophysikalischer Chemiker und Professor für synthetische Biophysik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz sowie Adjunct Director am Institut für Molekulare Biologie (IMB) in Mainz.
Kernlokalisierungssignale helfen beim schnellen Durchgang
Die typische Zelle eines Säugetiers besitzt etwa 2.000 Kernporen, die einen Durchlass vom Zellplasma in den Zellkern bilden. Diese Poren in der Kernhülle funktionieren wie Türsteher, die den Zugang überwachen und größere Moleküle – ab etwa fünf Nanometer Durchmesser – abweisen. Moleküle mit Kernlokalisierungssignalen auf ihrer Oberfläche können allerdings an Strukturen in den Kernporen andocken und auf diese Art schnell ins Innere des Zellkerns gelangen. "Kernporen sind im Hinblick auf die unterschiedliche Fracht, die sie durchschleusen, außerordentlich bemerkenswert. Sie importieren Proteine und Viren in den Zellkern oder exportieren Ribonukleinsäuren und Proteine ins Zytoplasma", beschreibt Lemke die Funktion dieser Öffnungen. "Obwohl es für die Biologie große Bedeutung hat, ist es noch immer ein Rätsel, wie genau große Einheiten mit einem Durchmesser über 15 Nanometer effizient transportiert werden können – und umso rätselhafter, wenn man die Struktur und die Dimension der Kernporen selbst betrachtet."
Vor diesem Hintergrund entwickelten die Forschenden im Rahmen der Studie große Transportladungen als Modelle. Als Basis dienten Kapside, also Proteinstrukturen bei Viren, die das Virusgenom umhüllen. Die Cargo-Modelle im Durchmesser von 17 bis 36 Nanometer wurden dann markiert und konnten so auf ihrem Weg durch die Zelle beobachtet werden. Trugen die Kapsid-Modelle auf ihrer Oberfläche keine Kernlokalisierungssignale, dann verharrten sie im Zellplasma und drangen nicht in den Zellkern vor. Je höher die Anzahl der Kernlokalisierungssignale, um so effizienter verlief die Ansammlung des Modell-Kapsids im Zellkern. Vor allem aber: Je größer das Kapsid, desto mehr Kernlokalisierungssignale waren für den effizienten Transport in den Nukleus nötig.
Das Team untersuchte eine Vielzahl von Kapsiden aus verschiedenen Viren, darunter auch das Hepatitis-B-Kapsid, die größte Fracht in dieser Studie. Aber selbst mit einer Erhöhung der Kernlokalisierungssignale auf 240 konnte nicht erreicht werden, dass dieses Kapsid in den Zellkern wanderte. Dies steht im Einklang mit früheren Studien über das Hepatitis-B-Virus, wonach nur reife, infektiöse Viren durch die Kernporen in den Kern gelangen.
Kooperation ermöglichte die Entwicklung eines mathematischen Modells
In Kooperation mit Prof. Dr. Anton Zilman von der University of Toronto in Kanada wurde ein mathematisches Modell entwickelt, um die Transportmechanismen zu beleuchten und die wichtigsten Faktoren für einen effizienten Transport zu eruieren. "Wir zeigen, dass ein einfaches biophysikalisches Zwei-Parameter-Modell genügt, um die zentralen Determinanten für den Transport von großen Bio-Ladungen in Zellen zu erfassen", erklärt Erstautorin Giulia Paci, die im Rahmen ihrer Doktorarbeit am Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) in Heidelberg die Studie durchgeführt hat.