Universitäten in Mainz, Paderborn und Princeton sowie Max-Planck-Institut für Chemie kooperieren bei Suche nach geeigneten Kandidaten
26.06.2009
Es ist zwar kein Gold, aber seine Entdeckung dürfte fast genauso wertvoll sein: Wer zuerst das geeignete Material für die Hochtemperatur-Supraleitung findet, hält den Schlüssel für völlig neue Zukunftstechnologien in den Händen. "Supraleiter, wie sie heute schon eingesetzt werden, funktionieren nur bei sehr tiefen Temperaturen. Der Traum wäre ein Hochtemperatur-Supraleiter, der den Strom bei Raumtemperatur ohne Verluste transportieren kann", erklärt Prof. Dr. Claudia Felser vom Institut für Anorganische Chemie und Analytische Chemie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Im Rahmen verschiedener Forschungskooperationen untersucht die Chemikerin neue Materialien, die als geeignete Kandidaten erscheinen. Hoffnungsträger ist neuerdings eine Verbindung aus Eisen und Selen, das Eisenselenid. Eine Kooperationsarbeit über diese Verbindung wurde nun im Fachmagazin Nature Materials veröffentlicht.
Supraleitung entsteht, wenn bestimmte Materialien durch Herunterkühlen auf eine sehr tiefe Temperatur ihren magnetischen Widerstand verlieren und der Strom verlustfrei fließen kann. Für Blei liegt diese Temperatur bspw. bei etwa -265º Celsius. Der Kühlaufwand hierfür ist jedoch enorm, weshalb nach Verbindungen gesucht wird, die bei höheren Temperaturen Supraleitung aufweisen: die Hochtemperatur-Supraleiter. Nur ganz wenige Verbindungen zeigen Supraleitung bei Temperaturen über 30 Kelvin, das sind etwa -243º Celsius, und diese Verbindungen werden als Hochtemperatur-Supraleiter bezeichnet.
In den Laboren der Chemiker weltweit herrscht Goldgräberstimmung, seitdem vor rd. einem Jahr ein neuer Hochtemperatur-Supraleiter entdeckt worden ist: Verbindungen mit Eisenarsenid-Schichten wie z.B. Ba0.6K0.4Fe2As2 in der chemischen Formel. Die Entdeckung war überraschend, weil Eisen ein magnetisches Material ist, Magnetismus und Supraleitung sich aber grundsätzlich ausschließen. "Die Hochtemperatur-Supraleitung ist noch nicht wirklich verstanden. Wir können daher nur annehmen, dass Eisen in den supraleitenden Verbindungen aufgrund einer bestimmten Anordnung seiner Atome im Kristall und der besonderen elektronischen Struktur unmagnetisch wird", erklärt Frederick Casper aus der Arbeitsgruppe von Prof. Felser. "Der Magnetismus wird praktisch ausgetrickst."
Ganz ähnlich wie die komplexen Eisenarsenid-Verbindungen verhält sich auch das Eisenselenid mit der einfachen chemischen Formel FeSe. In einer Forschungskooperation mit der Hochdruckgruppe von Mikhail Eremets am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz, Gerhard Wortmann von der Universität Paderborn und Robert J. Cava von der Princeton University haben die Wissenschaftler der Universität Mainz nun gezeigt, dass Eisenselenid unter einem Druck von 8,9 Gigapascal bei 36,7 Kelvin zum Supraleiter werden kann im Vergleich zu einer Temperatur von 8,5 Kelvin ohne Druck. Unter Druck geht die sog. Sprungtemperatur nach oben, also die Temperatur, bei der ein Material supraleitend wird. Wird der Druck auf die FeSe-Probe noch weiter erhöht, verhält sich das Material wie ein Halbleiter. Diese Erkenntnisse über eine chemisch relativ einfache Verbindung wie FeSe sind von großer Bedeutung im Hinblick auf die Suche nach neuen Hochtemperatur-Supraleitern.
"Mit Eisenselenid wird zu den interessanten Hochtemperatur-Supraleitern ein neues und besonders einfaches Material hinzugefügt", erklärt Felser. Eisenselenid ist deshalb besonders interessant, weil es wie Eisenarsenid-Verbindungen zu flexiblen Drähten verarbeitet werden könnte und auch hohe externe Magnetfelder aushält. "Das wäre der Durchbruch für die Hochtemperatur-Supraleitung", so der Mainzer Physiker Vadim Ksenofontov. Andere Materialien für die Hochtemperatur-Supraleitung sind die Cuprate, Verbindungen mit Kupfer, die allerdings spröde sind wie eine Keramik und sich daher schwer verarbeiten lassen.
Der Druck dient in diesen Versuchen quasi als Stellvertreter für andere Elemente, die in das Material eingebracht werden könnten. "Anstelle des mechanischen Drucks, den wir in den Versuchen erzeugen, kann auch ein chemischer Druck hergestellt werden. Dazu müssten dann kleinere Atome eingebracht werden, sodass alle Atome in der Verbindung näher zusammenrücken müssen", sagt Mikhail Eremets. "Druck ist eine exzellente Methode, um Materialien systematisch auf ihr Potenzial als Supraleiter zu testen", so Felser. Durch die Kooperation der Arbeitsgruppen um Felser, Wortmann und Eremets ist nun auch die Anwendung der Mößbauerspektroskopie unter hohem Druck in Mainz möglich – eine Technik, die weltweit nur an wenigen Plätzen angewendet wird und die bei der Suche nach dem "Traum-Material" sehr hilfreich ist. Dazu werden in Mainz weitere Arbeiten im Rahmen von internationalen Kooperationen folgen.