Computersimulation verdeutlicht Kapillarkräfte in Nanoröhrchen
14.08.2007
Das Chemielabor soll schrumpfen, bis es auf einen winzigen Chip passt. Die Experimente müssen dann in nanometergroßen Röhren ablaufen. Forscher des Max-Planck-Instituts für Polymerforschung und der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) haben nun in Computersimulationen gezeigt, welche Kapillarkräfte in Nanoröhrchen wirken, die Flüssigkeiten ansaugen. Das war bislang unklar, weil physikalische Gesetze der Makro- und Mikrowelt im Nanomaßstab nur bedingt gelten. So gleitet eine zähflüssige Substanz wie Silikonöl besser als erwartet durch Nanokanäle, während wasserähnliche Flüssigkeiten einen derartigen Effekt nicht zeigen. In Mikrokapillaren, die um ein Vielfaches weiter sind, tritt ein derartiger Effekt nicht auf.
Kapillarkräfte sind beispielsweise für Bäume lebensnotwendig, denn sie tragen dazu bei, dass Wasser aus den Wurzeln auch in die letzte Blattspitze steigt. Wie hoch und wie schnell Wasser durch eine Kapillare gegen die Schwerkraft nach oben strömt, hängt generell vom Durchmesser des Röhrchens ab. Eine Kapillare mit einem Durchmesser von einem Mikrometer, das ist der hundertste Teil eines menschlichen Haars, saugt Wasser mit einem Druck von 2,8 bar an und lässt es so um satte 28 Meter nach oben steigen. Die Pumpe wird dabei vom Wechselspiel der Kräfte ersetzt, die einerseits an der Oberfläche der Flüssigkeit und andererseits an der Grenzfläche zwischen Flüssigkeit und Röhrenwand wirken.
Nun hat das Forscherteam um Prof. Dr. Kurt Binder, externes Wissenschaftliches Mitglied des Max-Planck-Instituts für Polymerforschung, herausgefunden, inwieweit diese Prinzipien auch in Nanokapillaren gelten. Die Forscher simulierten am Computer, wie Flüssigkeiten in eine solche Röhre eindringen. Dabei mussten sie ein physikalisches Gesetz der Kapillarität, das Lucas-Washburn-Gesetz, nur ein bisschen an die Physik der Nanowelt anpassen, indem sie die Formel erweiterten. "Es gab in der Literatur Behauptungen, dass für strömende Flüssigkeiten in der Nanowelt völlig andere Gesetzmäßigkeiten herrschen als in der Makrowelt", so Projektleiter Binder. "Das konnten wir jetzt mit unseren Berechnungen widerlegen und haben somit ein bisschen Klarheit in die bisherigen, teilweise konträren, experimentellen und theoretischen Ergebnisse zu diesem Thema gebracht."
Im Computermodell der Mainzer Wissenschaftler dringen jeweils 25.000 Atome von zwei unterschiedlichen Flüssigkeiten in ein Röhrchen ein, das zehn Nanometer durchmisst. Die Eigenschaften der einen virtuellen Flüssigkeit haben die Physiker Wasser nachempfunden, das in Mikrokapillaren mit wasseranziehender Oberfläche sehr gut fließt. Die andere besteht aus kurzkettigen Makromolekülen und ähnelt in ihren Eigenschaften einem Silikonöl. Der Computer berechnete, wie schnell die beiden Flüssigkeiten jeweils in die Kapillare strömen. Demnach steigen Flüssigkeiten in Nanokapillaren generell langsamer als in weiter geöffneten Röhrchen.
Röhrenwand bremst die Strömung
"Mit unseren Berechnungen haben wir aber auch untersucht, ob sich die Teilchen nahe der Wand noch bewegen", so Binder. "So wollten wir herausfinden, wie gut die unterschiedlichen Flüssigkeiten in so winzigen Röhren fließen." Nimmt nämlich die Geschwindigkeit der Teilchen zur Wand hin nur leicht ab und ist selbst an der Wand nicht Null, fließt die Substanz recht gut durch die Nanoröhrchen. Stehen die Atome an der Wand jedoch fast still, strömt die Flüssigkeit nur behäbig durch die Nanokapillare. Die Teilchen im Inneren der Flüssigkeitssäule bewegen sich dann zwar noch. Wegen des geringen Durchmessers eines Nanoröhrchens überwiegt hier aber die Bremswirkung der Wand.
Diesen Effekt haben die Mainzer Physiker nun in ihren Simulationen mit der wasserähnlichen Flüssigkeit beobachtet. Sie steigt daher vergleichbar langsam durch die Nanoröhre wie die zähe Substanz, deren Teilchen aber über die Wand gleiten. "Das hat so keiner erwartet", erklärt Prof. Dr. Kurt Binder. Sie hatten der Nanoröhre nämlich eine Wasser anziehende Wand gegeben, an der Wasser zumindest in größerem Maßstab gut entlang fließt.
Chips stoßen an Grenzen
Warum sich die beiden Substanzen in den Nanoröhrchen anders verhalten als es Physiker aus der Makrowelt gewöhnt sind, kann Binder sich nur so erklären: "Die kleinen Moleküle der wasserähnlichen Flüssigkeit spüren eher die anziehenden Kräfte der Kapillarwand und bleiben haften. Und da die Flüssigkeitssäule so schmal ist, dominiert dieser bremsende Effekt in der ganzen Kapillare. Die großen Moleküle sind vermutlich unempfindlicher gegenüber diesen Kräften und bewegen sich daher freier."
Die Ergebnisse der Forscher helfen, Kapillareigenschaften, Flüssigkeiten und vor allem auch die Größe der Kapillare so zu variieren, sodass Flüssigkeiten im kleinen Maßstab besser fließen. "Es sieht aber so aus, als bringen extrem dünne und kleine Kapillare nicht viel, wenn alle Flüssigkeiten darin langsam fließen. Die Miniaturisierung des lab-on-a-chip hat eventuell Grenzen", so Binder.