Verletzte Axone beauftragen Schwann-Zellen mit Bau von spezialisierten Aktin-Sphären, um abgetrennte Axonreste zu zerkleinern und zu beseitigen, und starten damit Regenerationsprozess
27.06.2019
Nach einer Verletzung des peripheren Nervensystems, zum Beispiel infolge eines Unterarmbruchs, können sich geschädigte Nervenzellen regenerieren. Eine wichtige Rolle spielen hierbei die Axone der Nervenzellen, lange kabelartige Zellfortsätze, die Reize oder Signale an andere Zellen übermitteln. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und der schweizerischen Université de Fribourg um Prof. Dr. Claire Jacob haben Einzelheiten dieses Reparaturprozesses erforscht und gezeigt, wie dieser Mechanismus auch bei Zellen des Zentralnervensystems, also etwa nach einer Schädigung des Rückenmarks, aktiviert werden könnte. Die Arbeit wurde in dem renommierten Fachmagazin Cell Reports veröffentlicht.
"Bei der Verletzung eines Axons im peripheren Nervensystem wird schnell ein faszinierender Reparaturprozess aktiviert und der verletzte Nerv kann nachwachsen und seine Funktion wiedererlangen. Im zentralen Nervensystem funktioniert dieser Reparaturprozess nicht. Eine Verletzung führt daher oft zu einem bleibenden Schaden, wie zum Beispiel einer Querschnittslähmung", erklärt Claire Jacob, Leiterin der Zellulären Neurobiologie an der JGU. Um eine Heilung zu ermöglichen, müssen daher Strategien zur Verbesserung der Regeneration von Axonen im zentralen Nervensystem gefunden werden.
Für den Reparaturprozess von Axonen sind myelinbildende Zellen von zentraler Bedeutung. Myelin umhüllt die Axone. Dies dient einerseits als Schutzschicht und ermöglicht andererseits eine schnelle und effiziente Signalübertragung. "Myelin ist für die Funktion des gesamten Nervensystems äußerst wichtig, aber es behindert den Reparaturprozess im Falle einer Verletzung", sagt Jacob. Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem peripheren und dem zentralen Nervensystem: Myelin wird im peripheren Nervensystem von Schwann-Zellen produziert, im zentralen Nervensystem übernehmen Oligodendrozyten diese Aufgabe. Diese beiden Zelltypen reagieren völlig unterschiedlich auf eine Verletzung der Axone.
Alleskönner Schwann-Zellen: Sie bauen Myelin und beschädigte Axone ab
Werden im peripheren Nervensystem Axone verletzt, dann lösen die Schwann-Zellen schnell den Abbau des abgeschnittenen Axonendes in kleine Fragmente aus, die anschließend von Schwann-Zellen selbst oder später von Makrophagen verdaut werden können. Diese Beseitigung von Axon-Trümmern ist einer der ersten Schlüsselschritte des Reparaturprozesses. "Die Schwann-Zellen sind Alleskönner. Wir haben herausgefunden, dass sie beim Abschneiden von Axonen nicht nur Myelin verdauen, sondern auch das lange Stück Axon, das von seinem Zellkörper getrennt wurde, zerkleinern", beschreibt Jacob den Vorgang. Dazu bilden die Schwann-Zellen kleine Sphären des Proteins Aktin, die dann Druck auf den abgeschnittenen Axon-Arm ausüben und ihn dadurch weiter zerkleinern. Dieser gezielte Abbau von Zellresten bildet eine grundlegende Voraussetzung, damit der gesunde Teil des Axons, der am Neuronzellkörper verblieben ist, nachwachsen kann, sich mit seinem früheren Ziel verbindet und dadurch die volle Funktionalität zurückgewinnt.
Abgetrennte Axone senden Signale an Schwann-Zellen
"Schwann-Zellen bilden spezialisierte Aktin-Sphären, die auf Axone Druck ausüben und dadurch lange Axonstücke in kleine Fragmente zerlegen", fasst Jacob zusammen. Oligodendrozyten können das – normalerweise – nicht. Besonders interessant ist, dass das abgetrennte Axon ein Signal an die Schwann-Zellen sendet, damit diese den Prozess starten – eine beeindruckende, exakt abgestimmte Kooperation der beiden Zelltypen. Wird dieser Mechanismus gestört, findet kein Abbau statt und die Axonreste beeinträchtigen die Regeneration des Nervs.
Manipulierte Oligodendrozyten können ebenfalls Aktinstrukturen erzeugen
Als nächstes haben die Neurobiologen um Claire Jacob das Zentralnervensystem und das Verhalten der Oligodendrozyten untersucht. "Nach einer Verletzung sterben die Oligodendrozyten oder sie reagieren überhaupt nicht", sagt Jacob. Ein ursächlicher Grund dafür ist, dass sie kein VEGFR1 exprimieren. Dies im Gegensatz zu den Schwann-Zellen, in denen dieser Rezeptor die Bildung der Aktin-Sphären aktiviert. In einem weiteren Schritt hat das Forscherteam nun den Oligodendrozyten ermöglicht, VEGFR1 herzustellen. Dies führte dazu, dass auch Oligodendrozyten anschließend Aktinstrukturen erzeugten und die Axonreste abgebaut wurden – ein außerordentlich wichtiger Schritt für die Regeneration der Nervenzellen im Zentralnervensystem.
Die Gruppe arbeitet derzeit daran, molekulare Prozesse zu erkennen, die im zentralen Nervensystem den Abbau des Myelins an der Verletzungsstelle auslösen und dadurch das Myelin entsorgen. Tatsächlich ist die Beseitigung von Myelin die zweite Voraussetzung, neben der Beseitigung der Axonreste, damit die Nervenzellen vollständig regenerieren. "Wir haben einen Weg entdeckt, wie der Myelinabbau im peripheren Nervensystem schneller abläuft. Jetzt klären wir, ob dieser Weg eine Demyelinisierung im zentralen Nervensystem auslösen kann", umreißt Jacob eine aktuelle Fragestellung ihrer Forschung.
Claire Jacob leitet seit Oktober 2018 die Gruppe Zelluläre Neurobiologie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Der in Cell Reports publizierte Artikel umfasst Arbeiten der Forschungsgruppen an den Universitäten Fribourg, Schweiz, und Mainz. Im September 2018 erhielt Claire Jacob den renommierten IRP Schellenberg Forschungspreis.