Eiszeitliche Temperaturen und Niederschläge anhand von Regenwurm-Ausscheidungen rekonstruiert

Neue Methode zur Ermittlung von Klimadaten zur Vergangenheit an Land erstmals vergleichend angewendet / Eiszeitliche Sommer waren in Mitteleuropa zeitweise wärmer als bisher bekannt

21.11.2022

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eines internationalen Forschungsprojekts unter Leitung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) haben eine neue Methode angewendet, um das Klima der Vergangenheit zu rekonstruieren. Wie sie in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Communications Earth & Environment berichten, haben sie durch die Analyse von Regenwurm-Ausscheidungen Temperaturen und Niederschläge der letzten Eiszeit ermittelt, die vor etwa 25.000 Jahren ihren Höhepunkt hatte. "Die neue Methode wurde an der Université Paris 1 Panthéon-Sorbonne entdeckt und am Max-Planck-Institut für Chemie weiterentwickelt", berichtet Dr. Peter Fischer vom Geographischen Institut der JGU, der das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Projekt "TerraClime", das unter anderem zu dieser Veröffentlichung geführt hat, federführend geleitet hat. "Mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, unter anderem von der Université de Lausanne und vom Römisch-Germanischen Zentralmuseum, haben wir die Methode für die Rekonstruktion des Klimas am Schwalbenberg bei Remagen und in Nußloch bei Heidelberg benutzt." An den beiden Standorten befinden sich gut erschlossene eiszeitliche Staubablagerungen. Im sogenannten Löss befinden sich Abfolgen aus der Zeit von 45.000 bis 22.000 Jahren vor heute, in denen sich durchgängig die winzigen, nur bis zu etwa 2,5 Millimeter großen Ausscheidungsprodukte von Regenwürmern finden lassen. Diese fachsprachlich "Earthworm Calcite Granules" (ECGs) genannten Kalkausscheidungen werden täglich von Regenwürmern abgesondert. Mithilfe der Radiokohlenstoffmethode, die auf dem Zerfall des natürlich vorkommenden radioaktiven Kohlenstoffisotops (14C) basiert, lässt sich ihr Alter präzise bestimmen. Zusätzlich lässt sich durch das Bestimmen der Verhältnisse von stabilen Sauerstoffisotopen und stabilen Kohlenstoffisotopen in den ECGs dann ermitteln, wie warm beziehungsweise wie feucht es zum Zeitpunkt ihrer Entstehung war.

Höhere Sommertemperaturen als bisher angenommen

"Die Analyse der anhand der ECGs gewonnenen Daten zeigt, dass es vor 45.000 bis 22.000 Jahren in Mitteleuropa wesentlich trockener war als heute, mit bis zu 70 Prozent weniger Feuchtigkeit", sagt Dr. Charlotte Prud'homme von der Université de Lausanne, Erstautorin der Studie. "Damit können wir die bisherigen Erkenntnisse über diese Zeit erstmals quantifizieren." Neu ist das durch die Untersuchung der Regenwurm-Ausscheidungen gewonnene Ergebnis, dass die Sommertemperaturen damals deutlich höher waren als bisher angenommen. "Zwar waren die Sommer zum Höhepunkt der letzten Eiszeit etwa vier bis elf Grad kälter als heutzutage, jedoch lagen sie nur ein bis vier Grad unterhalb der Werte kurzer milderer Klimaphasen, die in der letzten Eiszeit auftraten", erklärt Fischer. "Vielleicht war es angesichts dieser Sommertemperaturen auch Menschen möglich, in Mitteleuropa im Kältemaximum ein Auskommen zu finden, in einer Zeit, für die bislang angenommen wird, dass Menschen hier nicht überleben konnten", ergänzt Dr. Olaf Jöris vom Römisch-Germanischen Zentralmuseum, der ebenfalls an der Studie beteiligt war.

"Bisher ist das eiszeitliche Klima im Wesentlichen durch die Analyse von Kleinstlebewesen in Tiefseeablagerungen rekonstruiert worden", berichtet Fischer. Für das Festland fehlen bislang entsprechende flächendeckende Klimadaten, was sich zukünftig mit der neuen Methode ändern soll: "Da sich in vielen Löss-Abfolgen ECGs finden lassen, können nun großflächig Temperaturen und Niederschlagsverhältnisse der Vergangenheit an Land bestimmt werden. Ziel ist der Aufbau einer Datenbank, mit deren Hilfe sich die Klimaveränderungen der Vergangenheit auf dem Festland präzise dokumentieren lassen. Durch die Berücksichtigung landbasierter Klimadaten werden Klimamodellierungen zur Vergangenheit auf eine umfassendere Datenlage zurückgreifen können und Ursache-Wirkungsketten auch hinsichtlich zukünftiger Klimaschwankungen besser verstanden werden", so Fischer.

Das Projekt "TerraClime" und das dazugehörige Projekt zur Datierung der ECGs ist von der DFG mit rund 400.000 Euro gefördert worden.