Einsamkeit erhöht Risiko für seelische Erkrankungen und Suizidgedanken

Studie der Universitätsmedizin Mainz zeigt weite Verbreitung des emotionalen Mangels und seiner Folgen auf

03.05.2017

Das Gefühl von Einsamkeit ist weiter verbreitet als bislang gedacht. Nach aktuellen Ergebnissen der Gutenberg-Gesundheitsstudie (GHS) der Universitätsmedizin Mainz leidet etwa jeder zehnte Studienteilnehmer im Alter von 35 bis 74 Jahren unter Einsamkeit – vor allem Frauen, Alleinstehende und jüngere Menschen. Die Betroffenen weisen ein erhöhtes Risiko für Depressionen, Angststörungen und Suizidgedanken auf. Dass sie häufiger rauchen, vermehrt Ärzte aufsuchen und öfter einer stationären Behandlung bedürfen, deutet darüber hinaus auf höhere gesundheitliche Risiken hin. Die Studienergebnisse wurden in der aktuellen Ausgabe der international angesehenen Fachzeitschrift BMC Psychiatry veröffentlicht.

Alle sozialen Wesen haben ein Grundbedürfnis, sich sozial zugehörig zu fühlen. Daher sind soziale Beziehungen und Integration für ein emotional erfülltes Leben entscheidend und ein Leben lang von hoher Relevanz. Doch was ist, wenn dieses Basisverlangen unerfüllt bleibt? Wenn sich der Mensch einsam fühlt, ihm also sozialer Kontakt schmerzlich fehlt und er sich nirgendwo zugehörig, sondern isoliert fühlt? Wirkt sich Einsamkeit darauf aus, wie seelisch gesund ein Mensch ist? Beeinflusst der emotionale Mangel sein Gesundheitsverhalten und die Anzahl seiner Arztbesuche? Und vor allem: Gibt es Bevölkerungsgruppen, in denen das Gefühl von Einsamkeit besonders weit verbreitet ist und lassen sich Risikofaktoren ermitteln?

Diese zentralen Forschungsfragen haben Prof. Dr. Manfred Beutel, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU), und andere Wissenschaftler der Mainzer Gutenberg-Gesundheitsstudie (GHS) für ihre Studie "Loneliness in the general population: prevalence, determinants and relations to mental health" untersucht. Zu diesem Zweck werteten sie den Datenbestand der GHS, einer repräsentativen Längsschnittsstudie von 15.000 Teilnehmern aus Mainz und dem Kreis Mainz-Bingen, aus.

"Das Spezifische an unserer Studie ist ihre umfangreiche, eine breite Altersspanne umfassende Datengrundlage. Neu an unseren Befunden ist, dass wir im Rahmen der GHS Zusammenhänge zwischen Einsamkeit und psychischen Beschwerden beobachten konnten", betont Beutel. "Wir wissen, dass der Anteil von Menschen ohne eine feste Partnerschaft in unserer Gesellschaft zunimmt. In unserer aktuellen Studie waren vor allem die Alleinlebenden in den jüngeren Altersgruppen für das Gefühl von Einsamkeit empfänglich. Es gibt zunehmend Studien, die zeigen, dass Einsamkeit auch ein erhöhtes Risiko für körperliche Erkrankungen und Sterblichkeit darstellt. Dennoch wird Einsamkeit oft nicht ernst genommen – weder von den Betroffenen noch von ihrem sozialen Umfeld. Sie birgt unseren Daten zufolge aber ernste Risiken für die seelische Gesundheit, und sie betrifft einen erheblichen Teil der Bevölkerung."

Konkret stellten die Mainzer Forscher fest, dass in der Untersuchungskohorte ihrer aktuellen Studie entgegen landläufigen Annahmen Einsamkeit mit dem steigenden Lebensalter abnahm. Unter Einsamkeit litten vor allem Menschen im mittleren Erwachsenenalter. Erwartungsgemäß fühlten sich diejenigen besonders einsam, die allein leben, keinen Partner oder keine Kinder haben. Teilnehmer, die in einer Partnerschaft leben, fühlten sich vergleichsweise selten einsam. Wenn sich Menschen trotz einer Partnerschaft einsam fühlten, handelte es sich meist um Frauen. Insgesamt waren Frauen stärker von Einsamkeit betroffen als Männer. Zudem zeigte die Studie, dass einsame Menschen mehr rauchten, häufiger Ärzte aufsuchten, mehr Psychopharmaka einnahmen und häufiger in stationärer Behandlung waren.

Studienleiterin Dr. Ana Nanette Tibubos von der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz erläutert: "Unter den Menschen, die extrem unter Einsamkeit litten, hatten über die Hälfte auch Depressionen und 40 Prozent litten unter allgemeinen Ängsten. Von den Menschen, die nicht einsam waren, berichteten sechs Prozent über Selbstmordgedanken. Bei den extrem einsamen Menschen waren es hingegen 42 Prozent. Selbst unter statistischer Berücksichtigung des sozioökonomischen Status der Befragten, ihrer Angst und ihrer Depression, war ihre Neigung an Suizid zu denken, immer noch um signifikante 30 Prozent erhöht."

Forschungsfragen, wie beispielsweise, ob Depressionen einsam machen oder Einsamkeit zu Depressionen führt, oder auch, ob und wie Einsamkeit auch zu körperlichen Erkrankungen führt, wollen die Wissenschaftler der Universitätsmedizin Mainz in künftigen Auswertungen der Gutenberg-Gesundheitsstudie beantworten.