Ein Quantensimulator für komplexe elektronische Materialien

Forscher simulieren komplexe elektronische Isolatoren mit ultrakalten Atomen in künstlichen Kristallen aus Licht

04.12.2008

Die Entwicklung neuer komplexer Materialien mit maßgeschneiderten Eigenschaften stellt eine der größten Herausforderungen in der modernen Quantenphysik dar. Bereits 1982 formulierte der amerikanische Nobelpreisträger Richard P. Feynman daher die Idee, die Eigenschaften komplexer Systeme mithilfe von Quantensimulatoren zu untersuchen, also die Materialien mit anderen, künstlichen, aber genau kontrollierbaren Quantensystemen zu simulieren. In der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift Science berichtet ein Wissenschaftlerteam unter Leitung von Prof. Dr. Immanuel Bloch von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) über ein neues Verfahren, um das Verhalten der Elektronen in einem Festkörperkristall mithilfe von ultrakalten Atomen zu simulieren.

Die Atome sind dabei in einem künstlichen Lichtkristall, einem sogenannten optischen Gitter, gefangen, das durch die Überlagerung mehrerer Laserstrahlen gebildet wird. Den Forschern aus Mainz, Köln und Jülich gelang es, in einem solchen System eines der spektakulärsten elektronischen Phänomene zu simulieren: Ein Metall kann schlagartig seine Leitfähigkeit verlieren, wenn die Wechselwirkung zwischen den Elektronen zu stark wird. Der daraus resultierende Mott-Isolator ist wahrscheinlich das wichtigste Beispiel eines stark wechselwirkenden Systems in der Festkörperphysik. Es wird vermutet, dass dieses Phänomen in engem Zusammenhang zur Hochtemperatursupraleitung steht, die zwar technisch interessant, aber bisher noch schlecht verstanden ist. Zusätzlich bildet dieses System einen idealen Ausgangspunkt für die Untersuchung des magnetischen Verhaltens moderner Festkörpermaterialien.

"Fermionische Atome in einem optischen Gitter eignen sich nahezu perfekt dafür, das Verhalten von Elektronen in Festkörpern zu simulieren, weil sie ein flexibles und sehr gut kontrollierbares Modellsystem darstellen", erklärt Ulrich Schneider von der JGU. Im Vergleich dazu wäre es extrem schwierig, die ablaufenden Prozesse in einem komplexen Material und in Hochtemperatursupraleitern direkt zu untersuchen, da in einem Festkörper unvermeidbare Störstellen und eine Vielzahl von miteinander konkurrierenden Wechselwirkungen auftreten. "In einem realen Festkörper ist es sehr schwierig, die Auswirkungen bestimmter Wechselwirkungen zu isolieren und festzustellen, ob die Abstoßung zwischen den Elektronen allein die Hochtemperatursupraleitung erklären könnte", so Prof. Dr. Immanuel Bloch.

In dem Experiment werden Kalium-Atome zuerst auf Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt abgekühlt und anschließend in ein optisches Gitter geladen, das durch die Überlagerung von mehreren Laserstrahlen gebildet wird. Dabei ordnen sich die Atome in den Knoten der stehenden Laserwelle an und das Lichtfeld wirkt auf die Teilchen wie ein regelmäßiger Kristall aus einigen hunderttausend einzelnen Mikrofallen. Im Simulator übernehmen die Atome die Rolle der Elektronen in einem echten Festkörperkristall, während das Kristallgitter, das in einem Festkörper aus den Atomrümpfen besteht, durch die überlagerten Laserstrahlen gebildet wird.

Die Versuchsanordnung in Mainz ermöglichte es den Physikern, die Dichte der Atome und die Stärke der abstoßenden Wechselwirkung im optischen Gitter unabhängig voneinander einzustellen. Dadurch war es möglich, gezielt zwischen metallischen und isolierenden Zuständen hin- und herzuschalten. Insbesondere gelang es, die Existenz des Mott-Isolators in diesem System direkt nachweisen: "Im Gegensatz zu metallischen Zuständen ändert sich die Dichte des Mott-Isolators bei steigendem Druck nicht, da die abstoßenden Kräfte zwischen den Atomen dafür sorgen, dass sich auf jedem Gitterplatz jeweils nur genau ein Atom befindet", so Schneider.

Die Beobachtung des fermionischen Mott-Isolators in einem optischen Gitter eröffnet neue Möglichkeiten, stark korrelierte Zustände und die damit zusammenhängenden Phänomene zu simulieren und zu untersuchen. Dafür spricht auch die ausgezeichnete Übereinstimmung der Messdaten mit den theoretischen Berechnungen, die in Köln und Jülich mit Hilfe des Jülicher Supercomputers JUGENE auf der Basis moderner Festkörpertheorie durchgeführt wurden.