Deutsches Kinderkrebsregister untersucht Häufigkeit von Krebserkrankungen bei Kindern in der Nähe von Kernkraftwerken

Nach aktuellem Kenntnisstand sind Kernkraftwerke im Normalbetrieb nicht ursächlich für erhöhte Kinderkrebsfälle in der Umgebung deutscher Kernkraftwerke

12.12.2007

Immer wieder wird der Verdacht geäußert, dass Kinder in der Nähe von Kernkraftwerken häufiger an Krebs erkranken. Eine frühere Studie des Kinderkrebsregisters mit Kindern unter 15 Jahren schien darauf hinzudeuten, dass speziell in den ersten Lebensjahren das Leukämierisiko in den betreffenden Gegenden erhöht war. In diesen Tagen erscheinen zwei wissenschaftliche Veröffentlichungen über eine neue Studie des Deutschen Kinderkrebsregisters in Mainz. Das Ergebnis: In Deutschland findet man einen Zusammenhang zwischen der Nähe der Wohnung zu einem Kernkraftwerk und der Häufigkeit, mit der Kinder vor ihrem fünften Geburtstag an Krebs und besonders an Leukämie erkranken. Allerdings erlaubt die Studie keine Aussage darüber, wodurch sich die beobachtete Erhöhung der Anzahl von Kinderkrebsfällen in der Umgebung deutscher Kernkraftwerke erklären lässt. So kommt nach dem heutigen Wissensstand Strahlung, die von Kernkraftwerken im Normalbetrieb ausgeht, als Ursache für die beobachtete Risikoerhöhung nicht in Betracht. Denkbar wäre, dass bis jetzt noch unbekannte Faktoren beteiligt sind oder dass es sich doch um Zufall handelt.

Die KiKK-Studie

Die sogenannte KiKK-Studie, kurz für Epidemiologische Studie zu Kinderkrebs in der Umgebung von Kernkraftwerken, wurde ab 2003 am Deutschen Kinderkrebsregister am Institut für Medizinische Biometrie, Epidemiologie und Informatik (IMBEI) der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) durchgeführt. Finanziert wurde sie vom Bundesumweltministerium über das Bundesamt für Strahlenschutz. Dabei verglichen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Daten von Kindern unter fünf Jahren, die in der Umgebung von Kernkraftwerken gelebt hatten, als sie an Krebs erkrankten, mit denen von Kindern aus denselben Regionen, die nicht an Krebs erkrankt waren. Ziel war es herauszufinden, ob die erkrankten Kinder im Durchschnitt näher an den Kraftwerken gewohnt hatten als die nicht erkrankten.

Bereits 1992 und 1997 hat das Deutsche Kinderkrebsregister zwei Studien über Kinderkrebserkrankungen in der Umgebung von Kernkraftwerken veröffentlicht. Dabei wurden Daten von Kindern unter 15 Jahren verwendet. Eine viel diskutierte Einzelbeobachtung der ersten Studie bestand darin, dass bei Kindern unter fünf Jahren die Zahl von Leukämieerkrankungen im Umkreis von fünf Kilometern von Kernkraftwerken erhöht war. Die KiKK-Studie sollte diese Altersgruppe speziell untersuchen und zwar mit einem anderen methodischen Ansatz in einem verlängerten Beobachtungszeitraum.

Es handelte sich um eine sogenannte Fall-Kontroll-Studie. Die Daten der Kinder, die im Alter unter fünf Jahren an Krebs erkrankt waren und zum Zeitpunkt der Diagnose in der Nähe eines von 16 Kernkraftwerken gewohnt hatten, stammten aus dem Deutschen Kinderkrebsregister (1.592 Fälle). Die jetzige Studie umfasst den Zeitraum von 1980 bis 2003, die Daten von über zwei Drittel der Fälle waren bereits in die früheren Studien eingegangen. Zu jedem Fall wurden aus derselben Region sogenannte Kontrollen mit demselben Alter und Geschlecht zufällig ausgewählt (insgesamt 4.735), die nicht an Krebs erkrankt waren. Für alle wurde der Abstand der Wohnung zum nächstgelegenen Kernkraftwerk mit einer mittleren Genauigkeit von ungefähr 25 Metern ermittelt.

Die wichtigsten Ergebnisse

In Deutschland findet man einen Zusammenhang zwischen der Nähe der Wohnung zu einem Kernkraftwerk und der Häufigkeit, mit der Kinder vor ihrem fünften Geburtstag an Krebs und besonders an Leukämie erkranken: Die erkrankten Kinder lebten im Durchschnitt näher an den Kernkraftwerken als die nicht erkrankten, zufällig ausgewählten Kontrollkinder. Das Ergebnis beruht insbesondere auf den bereits in den vorangegangenen Studien beobachteten erhöhten Erkrankungszahlen in der 5-Kilometer-Umgebung der Kraftwerke. Basierend auf den in der Studie gewählten Modellannahmen wären 29 der 1980 bis 2003 in Deutschland insgesamt aufgetretenen 13.373 Krebserkrankungen dem Wohnen innerhalb der 5-Kilometer-Zone um ein Kernkraftwerk zuzuschreiben, dies wären 1,2 Fälle pro Jahr. Auf die Untergruppe der Leukämien bezogen wären das 20 der 5.893 Leukämieerkrankungen bei Kindern unter fünf Jahren in ganz Deutschland in der betreffenden Zeit und damit 0,8 Fälle pro Jahr. Der für die gesamten Krebserkrankungen beobachtete Effekt kommt im Wesentlichen durch die Erhöhung des Risikos bei der relativ großen Gruppe der Leukämien zustande. Diese Risikoschätzungen sind allerdings wegen der zugrundeliegenden kleinen Fallzahlen mit einer erheblichen Unsicherheit behaftet.

Nach dem heutigen Wissensstand kommt Strahlung, die von Kernkraftwerken im Normalbetrieb ausgeht, als Ursache für die beobachtete Risikoerhöhung nicht in Betracht. Jeder Mensch ist in Deutschland einer natürlichen radioaktiven Strahlung von durchschnittlich etwa 1,4 mSv (ohne Radon) pro Jahr ausgesetzt. Demgegenüber ist die Belastung in der Nähe deutscher Kernkraftwerke um einen Faktor von 1.000 bis 100.000 niedriger.

Vielen dürfte bekannt sein, dass in der Nähe des Kernkraftwerks Krümmel eine unerwartet große Anzahl von Kindern an Leukämie erkrankt. Diese Daten haben das Ergebnis der Studie zwar beeinflusst. Aber auch ohne sie findet man noch eine Erhöhung des Erkrankungsrisikos für die Gesamtheit aller übrigen Kernkraftwerke.

Fazit der Wissenschaftler

Das Deutsche Kinderkrebsregister ist angesiedelt am Institut für Medizinische Biometrie, Epidemiologie und Informatik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Die Direktorin des Instituts, Prof. Dr. Maria Blettner, die als Mitautorin an der KiKK-Studie mitgewirkt hat, stellt fest: "Die Ergebnisse überraschen uns einerseits, weil aufgrund des allgemeinen strahlenbiologischen Kenntnisstands die von uns festgestellte Erhöhung des Krebsrisikos bei Kindern nicht erklärbar ist und auch keine anderen möglichen Ursachen bekannt sind. Andererseits waren die Ergebnisse insofern zu erwarten, als in die neue Studie zu etwa zwei Dritteln erkrankte Kinder eingegangen sind, die schon in unseren früheren Untersuchungen verwendet wurden und Anlass für die Durchführung der jetzigen Studie waren." Leider erlaubt die KiKK-Studie keine Aussage darüber, wodurch sich die beobachtete Erhöhung der Anzahl von Kinderkrebsfällen in der Umgebung deutscher Kernkraftwerke erklären lässt. Denkbar wäre, dass bis jetzt noch unbekannte Faktoren beteiligt sind oder dass es sich doch um Zufall handelt.

Das Deutsche Kinderkrebsregister

Im Deutschen Kinderkrebsregister in Mainz werden seit 1980 alle bei unter 15-Jährigen auftretenden Krebserkrankungen, also Leukämien und bösartige Tumoren, registriert, aus den neuen Bundesländern seit 1991. Das Deutsche Kinderkrebsregister ist am Institut für Medizinische Biometrie, Epidemiologie und Informatik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz angesiedelt und wird zu je zu einem Drittel durch das Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Familie und Frauen Rheinland-Pfalz, das Bundesministerium für Gesundheit sowie anteilig von allen Bundesländern finanziert.