Neuartiger Einsatz von reaktiven Polypept(o)iden ermöglicht Herstellung vielzähliger polymerbasierter Nanopartikel mit unterschiedlicher Trägerfunktion
13.09.2017
Nanodimensionale Wirkstoffträgersysteme werden in der Medizin unter anderem genutzt, um die pharmakologischen Eigenschaften von bioaktiven Substanzen zu verbessern. Oftmals ist es für eine therapeutische Anwendung solcher Systeme wichtig, dass das Trägersystem seine Fracht im Blutstrom stabil transportiert. Idealerweise sollte sich das Trägersystem erst nach erfolgter Zellaufnahme auflösen und die eingeschlossene Fracht am Zielort freisetzen. Durch die Komplexität des biologischen Systems wurde dieses Anforderungsprofil bisher nur durch komplexe Chemie an schwer zu charakterisierenden Nanopartikeln erfüllt. Aus diesem Grund stellte eine klinische Translation der Systeme zumeist eine unüberbrückbare Herausforderung dar. Mainzer Chemikerinnen und Chemiker um Dr. Matthias Barz vom Institut für Organische Chemie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) konnten jetzt in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern von der Universität Tokio, Japan, sowie dem Preisträger des Gutenberg Research Award 2015, Prof. Dr. Kazunori Kataoka, zeigen, dass sich reaktive Polypept(o)ide hervorragend dazu eignen, Morphologie und Funktion von Trägersystemen einfach und präzise zu kontrollieren.
Bei Polypept(o)iden handelt es sich um Hybridmaterialien, die die proteinresistenten und wasserlöslichen Eigenschaften des Polypeptoids Polysarkosin mit der Funktionalität von Polypeptiden kombinieren. In Analogie zu natürlichen Proteinen können synthetischen Polypept(o)ide auf externe Stimuli reagieren und besitzen zusätzlich intrinsisch die Fähigkeit zur Ausbildung von Sekundärstrukturen gepaart mit unterschiedlichen Funktionalitäten.
Erstmals konnte durch diese kooperative Arbeit gezeigt werden, dass sich die Ausbildung von β-Faltblattstrukturen in synthetischen Polypeptiden dazu nutzen lässt, die Morphologie von Mizellen zu kontrollieren, also sphärische oder wurmartige Mizellen aus demselben Blockcopolymer herzustellen. Durch den Einbau reaktiver Gruppen in das Polypeptidsegment des Blockcopolymers werden die Mizellen durch den Einsatz von Dithiolen zusätzlich bio-reversibel über Disulfidbrücken vernetzt. Aufgrund des unterschiedlichen Reduktionspotenzials innerhalb und außerhalb von Zellen sind die kernvernetzten Nanostrukturen im Blutstrom über Disulfide stabilisiert, zerfallen aber nach Zellaufnahme in ihre Bestandteile und setzen hierbei kontrolliert ihre Fracht frei.
"Somit ist es nun möglich, ausgehend von nur einem Vorläuferpolymer eine Vielzahl polymerbasierter Nanopartikel mit unterschiedlicher Trägerfunktion durch eine einzige chemoselektive Reaktion herzustellen. Dieser modulare Ansatz zum Aufbau von Nanopartikeln mit unterschiedlicher Funktion und Morphologie bietet den eindeutigen Vorteil, dass so wichtige Fragestellungen wie der Einfluss von Form und Größe auf Zirkulationszeit, Körperverteilung, Tumorakkumulation und Zellaufnahme unter Verwendung des gleichen Ausgangsmaterials gezielt untersucht werden können", betont Dr. Matthias Barz.
Erste in vivo-Experimente konnten bereits zeigen, dass die kernstabilisierten Wirkstoffträger stabil im Blut zirkulieren. Dies ist von besonderer Bedeutung, da eine stabile Zirkulation ein erstes Indiz für die Abwesenheit von unspezifischen Wechselwirkungen mit Blutbestandteilen oder Organen darstellt. Erst durch Abwesenheit von unspezifischen Wechselwirkungen scheint eine Zellaufnahme in spezifische Zellpopulationen realisierbar. Das therapeutische Potenzial der beschriebenen Nanopartikelplattform wird vor allem im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 1066: "Nanodimensionale polymere Therapeutika für die Tumortherapie" für die Immuntherapie des malignen Melanoms weiter untersucht, um den Übergang von polymeren Nanopartikeln zu effizienten Therapieformen zu gewährleisten.