Mendelevium-244 wurde 2018 erstmals hergestellt / Experimente weisen auf ungewöhnliche kurzlebige Spaltaktivität hin
09.10.2020
GEMEINSAME PRESSEMITTEILUNG DES GSI HELMHOLTZZENTRUMS FÜR SCHWERIONENFORSCHUNG GMBH, DES HELMHOLTZ-INSTITUTS MAINZ UND DER JOHANNES GUTENBERG-UNIVERSITÄT MAINZ
Die limitierenden Faktoren für die Existenz stabiler, superschwerer Elemente immer besser zu verstehen, ist seit Jahrzehnten ein Anliegen der Chemie und der Physik. Superschwere Elemente, wie die chemischen Elemente mit Ordnungszahlen größer als 103 genannt werden, kommen in der Natur nicht vor und werden künstlich mithilfe von Teilchenbeschleunigern hergestellt. Innerhalb von Sekunden zerfallen sie. Neue Erkenntnisse zu den Spaltprozessen in solchen exotischen Kernen hat ein Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des GSI Helmholtzzentrums für Schwerionenforschung Darmstadt, der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU), des Helmholtz-Instituts Mainz (HIM) und der Universität Jyväskylä in Finnland unter der Leitung von Dr. Jadambaa Khuyagbaatar von GSI und HIM geliefert und dazu den bisher unbekannten Kern Mendelevium-244 hergestellt. Die Untersuchungen waren Teil der FAIR-Phase 0, der ersten Stufe des FAIR-Experimentierprogramms. Die Resultate sind kürzlich in der Fachzeitschrift Physical Review Letters veröffentlicht worden.
Schwere und superschwere Kerne sind zunehmend instabil gegenüber der Kernspaltung, bei der sich der Kern in zwei leichtere Fragmente spaltet. Dies liegt an der immer stärkeren Coulomb-Abstoßung zwischen der großen Anzahl positiv geladener Protonen in solchen Kernen und ist eine der Haupteinschränkungen für die Existenz stabiler superschwerer Kerne.
Lange bekannt – und immer noch nicht ganz verstanden
Die Kernspaltung wurde vor mehr als 80 Jahren entdeckt und wird bis heute intensiv erforscht. Die meisten experimentellen Daten über die Spontanspaltung gibt es für Kerne mit gerader Anzahl von Protonen und Neutronen – sogenannte gerade-gerade Kerne. Gerade-gerade Kerne bestehen ausschließlich aus Protonen- und Neutronenpaaren und ihre Spalteigenschaften sind durch theoretische Modelle recht gut beschreibbar. Bei Kernen mit einer ungeraden Anzahl von entweder Neutronen oder Protonen wurde eine Behinderung des Spaltprozesses im Vergleich zu den Eigenschaften geradzahliger Kerne beobachtet und auf den Einfluss eines solchen einzelnen, ungepaarten Bestandteils im Kern zurückgeführt.
Weniger bekannt ist jedoch die Spaltbehinderung in ungerade-ungerade Kernen, die sowohl eine ungerade Anzahl von Protonen als auch eine ungerade Anzahl von Neutronen enthalten. Die verfügbaren experimentellen Daten deuten darauf hin, dass der Spontanspaltprozess in solchen Kernen stark behindert wird, noch mehr als in Kernen mit einer ungeraden Anzahl von nur einer Sorte von Bestandteilen.
Wenn die Spaltwahrscheinlichkeit sehr stark reduziert ist, werden andere radioaktive Zerfallsarten wie Alpha- oder Beta-Zerfall wahrscheinlich. Beim Beta-Zerfall verwandelt sich ein Proton in ein Neutron oder umgekehrt und folglich verwandeln sich ungerade-ungerade Kerne in gerade-gerade Kerne, die typischerweise eine hohe Spaltwahrscheinlichkeit haben. Dementsprechend ist in dem Fall, dass während der Produktion eines ungerade-ungerade Kerns eine Spaltaktivität beobachtet wird, oft schwierig zu erkennen, ob die Spaltung in dem ungerade-ungeraden Kern stattfand oder eher vom im Beta-Zerfall bevölkerten gerade-geraden Tochterkern ausging, der dann eine beta-verzögerte Spaltung durchlaufen kann. Kürzlich hat Dr. Jadambaa Khuyagbaatar, Wissenschaftler in der SHE-Chemie-Gruppe am HIM und bei GSI vorausgesagt, dass dieser beta-verzögerte Spaltprozess für die schwersten Kerne sehr relevant und in der Tat eine der wichtigsten Zerfallsarten von beta-zerfallenden superschweren Kernen sein könnte.
In superschweren Kernen, die experimentell äußerst schwierig herzustellen sind, ist der Beta-Zerfall noch nicht schlüssig beobachtet worden. So wurden zum Beispiel im Falle des schwersten bei GSI in Darmstadt produzierten Elements Tenness, Element 117, in einem etwa einen Monat dauernden Experiment nur zwei Atome des ungeraden Kerns Tenness-294 beobachtet. Diese geringen Produktionsraten schränken den Nachweis und die detaillierte Untersuchung des verzögerten Spaltprozesses durch Beta-Zerfall ein. Dennoch lassen sich neue experimentelle Daten, die Aufschluss über diesen Prozess geben, am besten in exotischen Kernen gewinnen, beispielsweise in solchen, die ein extrem unausgewogenes Verhältnis von Protonen zu Neutronen aufweisen. Dazu hat das Team von GSI, JGU, HIM und Universität Jyväskylä den bisher unbekannten Kern Mendelevium-244, einen ungerade-ungeraden Kern aus 101 Protonen und 143 Neutronen, hergestellt.
Die theoretische Schätzung geht davon aus, dass auf den Beta-Zerfall dieses Kerns in etwa einem von fünf Fällen eine Kernspaltung folgen wird. Aufgrund der großen Energiefreisetzung des Spaltprozesses kann dieser mit hoher Empfindlichkeit nachgewiesen werden, während Beta-Zerfälle schwieriger zu messen sind. Die Forscher verwendeten einen intensiven Ionenstrahl aus Titan-50, der am UNILAC-Beschleuniger bei GSI zur Verfügung steht, und bestrahlten damit ein Goldtarget.
Die Reaktionsprodukte von Titan- und Goldkernen wurden im TransActinide Separator and Chemistry Apparatus, kurz TASCA, getrennt und die Mendelevium-Kerne in einen Siliziumdetektor geleitet, der die Implantation der Kerne sowie ihren anschließenden Zerfall registriert hat.
Ein erster Teil der Studien, der im Jahr 2018 umgesetzt wurde, führte zur Beobachtung von sieben Atomen von Mendelevium-244. Im Jahr 2020 verwendeten die Forscher eine niedrigere Titan-50-Strahlenergie, die nicht ausreichte, um Mendelevium-244 herzustellen. Tatsächlich fehlten in diesem Teil des Datensatzes Signale, wie sie Mendelevium-244 in der Studie von 2018 zugeordnet wurden. Dies bestätigt die korrekte Zuordnung der Daten von 2018 und damit die Entdeckung des neuen Isotops.
Alle sieben registrierten Atomkerne durchliefen einen Alpha-Zerfall, also die Emission eines Helium-4-Kerns, der zu dem Tochterisotop Einsteinium-240 führte, das vor vier Jahren durch ein vorangegangenes Experiment an der Universität Jyväskylä entdeckt wurde. Der Beta-Zerfall wurde nicht beobachtet, was die Festlegung einer Obergrenze für diesen Zerfallsmodus von 14 Prozent erlaubt. Wenn die 20-prozentige Spaltwahrscheinlichkeit aller Beta-Zerfallstöchter korrekt wäre, läge die Gesamtwahrscheinlichkeit für eine beta-verzögerte Spaltung bei höchstens 2,8 Prozent und ihre Beobachtung würde die Produktion von wesentlich mehr Mendelevium-244-Atomen als in diesem Entdeckungsexperiment erfordern.
Rätselhafte Signale motivieren weitere Experimente
Zusätzlich zu dem alpha-zerfallenden Mendelevium-244 fanden die Forscher Signale von kurzlebigen Spaltereignissen mit unerwarteten Merkmalen hinsichtlich ihrer Anzahl, Produktionswahrscheinlichkeit und Halbwertszeit. Ihr Ursprung kann derzeit nicht genau bestimmt werden und ist mit dem derzeitigen Wissen über die Produktion und den Zerfall von Isotopen in der Region von Mendelevium-244 auch nicht ohne Weiteres erklärbar. Dies motiviert zu Folgestudien, um detailliertere Daten zu erhalten, die dazu beitragen werden, den Spaltprozess in ungeraden Kernen weiter zu beleuchten.