Bodyguard für das Gehirn

Forscher der Universitäten Bonn und Mainz entdecken Schutzmechanismus vor Alterungsprozessen

12.07.2011

Wissenschaftler der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und der Johannes Gutenberg-Universität Mainz haben einen Mechanismus entdeckt, der das Gehirn offenbar vor Alterung schützt. Sie schalteten bei Mäusen den Cannabinoid 1-Rezeptor aus, woraufhin die Tiere dann viel schneller Verfallserscheinungen zeigten, wie sie ähnlich auch bei Demenzkranken vorkommen. Die Forscher stellen ihre Ergebnisse in einer aktuellen Publikation der Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) vor.

Menschen werden immer älter, die Zahl der Demenzerkrankungen nimmt zu. Welche Faktoren die Degeneration des Gehirns steuern, ist noch weitgehend unbekannt. Wissenschaftler gehen jedoch davon aus, dass etwa Stress, Akkumulierung von giftigen Abbauprodukten und Entzündungen die Alterung noch beschleunigen. Umgekehrt gibt es aber auch Mechanismen, die das Gehirn wie ein Bodyguard vor dem Verfall schützen oder defekte Strukturen reparieren. Forscher der Universitäten Bonn und Mainz haben nun eine bislang unbekannte Funktion des Cannabinoid 1-Rezeptors (CB1) entdeckt. Ein Rezeptor ist ein Protein, an das andere Substanzen andocken und eine Signalkette auslösen. An den CB1-Rezeptor lagern sich Cannabinoide wie THC - der Wirkstoff des Hanfes - an und Endocannabinoide, die vom Körper selbst gebildet werden. Die Existenz dieses Rezeptors ist auch der Grund für die berauschende Wirkung von Haschisch und Marihuana.

Der CB1-Rezeptor hat nicht nur Suchtpotenzial, sondern spielt auch bei der Degeneration des Gehirns eine Rolle. "Wenn wir den Rezeptor mit gentechnischen Methoden ausschalten, dann verläuft die Alterung der Mäusegehirne viel schneller", erklärt Önder Albayram, Erstautor der Publikation und Doktorand im Team von Prof. Dr. Andreas Zimmer vom Institut für Molekulare Psychiatrie der Universität Bonn. "Das CB1-Signalsystem hat also eine schützende Wirkung für die Nervenzellen."

Die Wissenschaftler untersuchten Mäuse verschiedener Altersklassen: Jungtiere mit 6 Wochen, im mittleren Alter von 5 Monaten und im fortgeschrittenen Alter mit 12 Monaten. Die Tiere hatten verschiedene Aufgaben zu bewältigen: So mussten sie erst in einem Schwimmbecken eine unter der Wasseroberfläche befindliche Plattform finden. Wenn die Mäuse den Ort kannten, wurde die Plattform verschoben und die Tiere sollten sie wiederfinden. Damit testeten die Forscher das Lern- und Erinnerungsvermögen der Nager.

Die Tiere mit dem ausgeschalteten CB1-Rezeptor - die Knockout-Mäuse - unterschieden sich deutlich von ihren intakten Artgenossen. "Die Lern- und Gedächtnisleistung der Knockout-Mäuse war deutlich herabgesetzt", so PD Dr. Andras Bilkei-Gorzo von der Universität Bonn. So waren die Tiere, denen der Rezeptor fehlte, bei der Suche nach der Schwimmplattform weniger erfolgreich. "Sie wiesen außerdem einen deutlichen Verlust an Nervenzellen im Hippocampus auf", erklärt der Wissenschaftler. Diese Gehirnstruktur ist die zentrale Schaltstelle für die Festigung von Erlerntem. Außerdem stellten die Forscher fest, dass es zu Entzündungsprozessen im Gehirn kam. Mit fortschreitendem Alter machten sich die degenerativen Prozesse bei den Mäusen zunehmend bemerkbar.

Die Tiere mit intaktem CB1-Rezeptor hingegen schnitten hinsichtlich des Lern- und Erinnerungsvermögens sowie der Gesundheit der Nervenzellen deutlich besser ab. "Die Ursache der Alterung gehört zu den Geheimnissen des Lebens", so Albayram. Die Bonner und Mainzer Forscher haben jetzt erstaunlich viele Parallelen zwischen den Vorgängen in den Mäusegehirnen und den altersbedingten Änderungen des menschlichen Gehirns nachgewiesen. So kann das Endocannabinoid-System beim Menschen auch einen Schutzmechanismus gegen Gehirnalterung darstellen.

"Weitere Forschung ist noch erforderlich", betont der Erstautor. Die Wissenschaftler wollen noch besser verstehen, wie es etwa zur Schutzwirkung vor Entzündungsprozessen im Gehirn durch CB1-Rezeptoren kommt. Basierend auf diesen Signalketten könnten dann vielleicht auch Wirkstoffe für neue Therapien entwickelt werden.