Bleibelastung der Luft hat in der Vergangenheit den Treibhauseffekt vermutlich stark gedämpft
30.04.2009
Die Bleibelastung der Luft regt die Bildung von Eisteilchen in den Wolken an. Ein Team von Wissenschaftlern aus den USA, Deutschland und der Schweiz hat herausgefunden, dass bleihaltige Partikel sehr gute Keime für die Entstehung von Eiskristallen in Wolken sind. Das wirkt sich nicht nur auf die Bildung von Regen und Niederschlägen aus, sondern möglicherweise auf das gesamte Erdklima. Denn die Wärmestrahlung der Erde wird von Eiswolken, den sogenannten Zirren, mit bleihaltigen Partikeln stärker in den Weltraum abgegeben als bisher angenommen. Im Vergleich zu bleiarmen Wolken kühlen bleireiche Wolken also die Erde. In den letzten 20 Jahren gingen die vom Menschen verursachten Bleiemissionen stetig zurück. Dies könnte bedeuten, dass sich der Treibhauseffekt heute stärker auswirkt, nachdem er früher durch bleihaltige Wolken gedämpft wurde.
Im Sphinx-Observatorium, einer Schweizer Forschungsstation auf dem Jungfraujoch in 3.580 Meter Höhe, hatten Wissenschaftler von verschiedenen Einrichtungen, darunter die Universitäten Frankfurt und Mainz sowie das Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz, in den Wintern 2006 und 2007 die chemische Zusammensetzung von Wolken untersucht. "Uns interessiert vor allem die Frage, wie sich Eispartikel bilden. Denn die Wassertröpfchen in der Atmosphäre gefrieren nicht einfach bei null Grad Celsius, sondern brauchen bis zu einer Temperatur von minus 37 Grad Celsius einen Eiskeim, also ein Aerosolpartikel, das die Eisbildung auslöst", erklärt Prof. Dr. Joachim Curtius vom Institut für Atmosphäre und Umwelt (IAU) an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Das Prinzip wird beispielsweise auch bei Schneekanonen eingesetzt, wo teilweise Proteine von Pseudomonas-Bakterien als eisbildende Keime verwendet werden – eine umstrittene Anwendung.
Die Wissenschaft misst Eispartikeln in Wolken große Bedeutung bei, weil sie ganz wesentlich zur Entstehung des Regens in Wolken beitragen. "Wir können weder Klimaveränderungen noch den globalen Wasserkreislauf verstehen, wenn wir nicht wissen, welche Partikel die Eisbildung in der Atmosphäre verursachen", so Prof. Dr. Stephan Borrmann. Der Atmosphärenphysiker ist Leiter der Abteilung Partikelchemie, einer gemeinsamen Einrichtung des Max-Planck-Instituts für Chemie und des Instituts für Physik der Atmosphäre der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU).
Die Untersuchungen am Jungfraujoch und in den Rocky Mountains in Colorado ergaben, dass Teilchen mit einem Bleianteil zu den wirksamsten Eiskeimen gehören, die in der Atmosphäre zu finden sind. "Das entscheidend Neue für uns ist die überhöhte Häufigkeit, mit der wir Blei in den Eispartikeln gefunden haben", so Curtius. "Wir konnten das Blei etwa in jedem zweiten Eiskeim nachweisen, im Durchschnitt der Aerosolpartikel dagegen nur in jedem zwanzigsten." Blei allein macht jedoch noch keinen Eiskeim. Winzige Bleipartikel verbinden sich mit anderen Bestandteilen der Luft wie Mineralstaub aus der Sahara. Ein Teil dieser Mineralstaubteilchen ist selbst schon als Eiskeim wirksam. In Verbindung mit Blei wird jedoch aus solch einem guten Eiskeim ein sehr guter Eiskeim, der schon bei wärmeren Temperaturen und bei geringerer Feuchtigkeit die Eiskristallisation auslöst.
Laborexperimente an der AIDA-Aerosol- und Wolkenkammer am Forschungszentrum Karlsruhe bestätigten die Ergebnisse der Feldstudien in der Schweiz. Modellrechnungen der ETH Zürich zeigen darüber hinaus, dass die bleihaltigen Partikel die Eigenschaften von Zirruswolken so verändern, dass die von der Erde ins All abgegebene langwellige Strahlung deutlich beeinflusst wird. Insgesamt könnte die abgegebene Wärme der Erde theoretisch also um bis zu 0,8 Watt pro Quadratmeter steigen, wenn alle eisbildenden Mineralstaubteilchen Blei enthielten. Zum Vergleich: Der Klimaantrieb durch die menschgemachten Kohlendioxidemissionen beträgt etwa 1,6 Watt pro Quadratmeter. Die bleihaltigen Eiskeime haben also vermutlich über ihre indirekte Wirkung auf die Eiswolkenbildung einen abkühlenden Effekt auf das Klima.
Die Wissenschaftler nehmen nun an, dass durch die wesentlich höhere Bleibelastung in den 1970er- und 1980er-Jahren, verursacht von verbleitem Benzin und den Bleiausstoß aus Kraftwerken, der überwiegende Teil aller Mineralstaubteilchen mit Blei kontaminiert war und die Erde dadurch mehr Wärme abgegeben hat als heute. "Dadurch wurde vermutlich der globale Temperaturanstieg damals noch etwas abgebremst, während heute der Treibhauseffekt fast voll durchschlägt", so Curtius.
Eine Rückkehr zu den Bleiemissionen des letzten Jahrhunderts kann trotzdem unmöglich erwünscht sein. Blei ist ein giftiges Schwermetall, das zu heftigen Gesundheitsschäden führen kann. "Wir können aber jetzt im Nachhinein vielleicht erklären, warum der Temperaturtrend in den letzen Jahren stärker nach oben geht, nämlich weil die anthropogene Freisetzung von Blei und auch Sulfat gedrosselt wurden", erläutert Borrmann.
"Die Ergebnisse zeigen, dass vom Menschen verursachte Emissionen die Eiskeime beeinflussen können und dadurch Niederschlag und Klima gestört werden können", so die Wissenschaftler.
An dem Projekt waren zudem die Technische Universität Darmstadt, das Leibniz-Institut für Troposphärenforschung in Leipzig sowie das Pacific Northwest National Laboratory in Richland, Washington und die US-Behörde National Oceanic and Atmospheric Administration in Boulder, Colorado beteiligt. Die Beteiligung der Universitäten Mainz und Frankfurt, der TU Darmstadt und des Max-Planck-Instituts für Chemie erfolgte hierbei im Rahmen des DFG-Sonderforschungsbereichs "Die troposphärische Eisphase" (SFB 641).
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