Neubau Anthropologie bietet Raum für breite Forschung

Neues Gebäude beim Botanischen Garten schafft ideales Umfeld für innovative Forschungen zur Entwicklung des Menschen

11.06.2013

Mainz gehört zu den wenigen Universitätsstandorten, die anthropologische Forschung auf breiter Ebene verfolgen. Eine hochgradig innovative Ausrichtung der Arbeitsfelder geht dabei mit der kontinuierlichen Bearbeitung klassischer anthropologischer Themen einher. Nehmen genetische Untersuchungsmethoden bereits heute einen großen Raum ein, so steht zu erwarten, dass dies in den nächsten Jahren weiter zunimmt. Die Mainzer Anthropologie als Teil des Fachbereichs Biologie arbeitet eng mit den Nachbardisziplinen Medizin, Bioinformatik und Biochemie zusammen. Zahlreiche Schnittstellen bestehen auch mit den Kulturwissenschaften und den Geowissenschaften. Die biologische Anthropologie in Mainz befasst sich mit der Entwicklung und der Vielfalt des Menschen, seiner Vorfahren und nahe verwandter Arten. Die Evolution und die Diversität bei den Primaten sind daher die zentralen Themen in Lehre und Forschung. Schwerpunkte sind die Primatologie, also die Erforschung von Primaten, die Paläoanthropologie und prähistorische Anthropologie, also die Lehre von den fossilen Vorfahren des Menschen, sowie die Populationsgenetik, also die Untersuchung von Vererbungsvorgängen innerhalb biologischer Populationen. Die Mainzer Anthropologie wird derzeit übergangsweise von drei, nach Stellenplan von zwei Professuren vertreten.

Der Arbeitsbereich von Prof. Dr. Hans Zischler beschäftigt sich mit der Evolution des Menschen und der nicht-menschlichen Primaten. Mit Vergleichen innerhalb und zwischen verschiedenen Arten wird nach evolutionären Mustern, wie der Verteilung und Abwehr "springender Gene" in Primatengenomen, gesucht, die die Aufspaltung der heutigen Primatenvertreter und ihre jeweils eigenständige Entwicklung erklären könnten. Mainzer Forschungen haben beispielsweise gezeigt, dass Koboldmakis auf der indonesischen Insel Sulawesi große genetische Unterschiede aufweisen, die sich mit der geologischen Geschichte der Insel und den Veränderungen des Meeresspiegels in den letzten 1,6 Millionen Jahren erklären lassen. Die Arbeiten in diesem Forschungsbereich stützen sich auf Freilanduntersuchungen, Laborexperimente und bioinformatische Analysen. Die Gruppe Molekulare Evolution und Phylogenetik von PD Dr. Holger Herlyn gehört ebenfalls zu diesem Arbeitsbereich. Sie untersucht die molekulare Evolution von Proteinen, die der Fortpflanzung dienen, und beleuchtet damit insbesondere die Frage nach der sexuellen Selektion.

Der Bereich Palaeogenetik von Prof. Dr. Joachim Burger behandelt schwerpunktmäßig populationshistorische Fragestellungen wie etwa zur Abstammung der Europäer oder dem Ursprung der Hausrinder. Dazu wird Erbsubstanz aus archäologischen Funden lange verstorbener Menschen oder Tiere untersucht. Im palaeogenetischen Spurenlabor kann mit der alten DNA, der aDNA, aus Knochen oder Zähnen kontaminationsfrei gearbeitet werden. Das Labor im neuen Institutsgebäude ist im Hinblick auf Konzeption und Infrastruktur weltweit eines der besten auf seinem Gebiet. Die Informationen aus der aDNA liefern einen direkten Einblick in die genetische Zusammensetzung prähistorischer Populationen und ermöglichen es, vergangene Prozesse zu rekonstruieren. Zu diesem Arbeitsbereich zählen auch die Forschungen von Dr. Barbara Bramanti, die über die letzten Jahre in Mainz im Rahmen eines DFG-Projekts und derzeit innerhalb eines ERC-finanzierten Vorhabens kooperierend über die großen Seuchen in Europa forscht. Sie untersucht die Pestepidemien im Mittelalter und die Konsequenzen im Hinblick auf Selektion und Evolution.

Der Arbeitsbereich Historische Anthropologie und Bioarchäometrie vonProf. Dr. Kurt Alt befasst sich unter anderem mit der Struktur und Dynamik in prähistorischen und historischen Bevölkerungsgruppen, der Besiedlungsgeschichte Europas, Verwandtschaftsanalysen und der Mobilität in der Eisenzeit und im Frühmittelalter. Arbeiten der Gruppe haben beispielsweise dazu beigetragen, die Gebeine in einem im Jahr 2008 gefundenen Sarg des Magdeburger Doms Königin Editha, gestorben 946, zuzuordnen.

Forschungsbasierter Masterstudiengang Anthropologie

Seit dem Wintersemester 2011/2012 wird in Mainz der forschungsbasierte Masterstudiengang Anthropologie angeboten. Bei den zentralen Themen Evolution und Divergenz wird nicht nur die die gesamte Divergenz der Primaten abgedeckt, sondern in Zusammenarbeit mit der Universitätsmedizin Mainz auch eine klinisch relevante Diversitätsforschung beim Menschen. Den Studiengang kennzeichnet die fachliche Nähe zur Humangenetik, Genomforschung, Bioinformatik, Ökologie, Populationsbiologie, Paläontologie und prähistorischen Archäologie. Dementsprechend liegen die inhaltlichen Schwerpunkte des Lehrangebots auf Humangenetik/Molekulargenetik, Prähistorischer Anthropologie, Pharmakogenetik, Palaeopopulationsgenetik und Bioarchäometrie. Aktuelle molekulargenetische und biostatistische Verfahren werden theoretisch und experimentell vermittelt, auch archäometrisch-analytische Techniken und naturwissenschaftlicharchäologische Methoden werden im Studiengang gelehrt. Hinzu kommt die Bearbeitung historischer Quellen. Die fachspezifischen Inhalte werden durch ein Zusatzmodul des Studium generale der Johannes GutenbergUniversität Mainz ergänzt, in dem erweiterte Qualifikationen beispielsweise in den Bereichen Wissenschaftshistorie und Ethik erworben werden können. Vonseiten der Universitätsmedizin Mainz sind an dem Masterstudium das Institut für Pharmakologie und das Institut für Humangenetik beteiligt. Darüber hinaus engagiert sich das Institut für Anthropologie in den Bachelor- und Masterstudiengängen im Fachbereich Biologie und beteiligt sich an Studiengängen der Nachbarfachbereiche wie den Masterstudiengängen Biomedizin und Angewandte Bioinformatik.