Polarisierung beim Medienvertrauen – auch pauschale Kritik und Polemik verfestigen sich

Polarisierung in der Einstellung zu den Medien / Vertrauen in Deutschland im Durchschnitt recht stabil, aber pauschale Kritik und Polemik verfestigen sich / Jeder Vierte hält die Medien für abgehoben

06.03.2019

Die Mehrheit der Deutschen vertraut den etablierten Medien weiterhin, aber die "Lügenpresse"-Debatte hinterlässt Spuren: Pauschale Kritik und Polemik haben sich in den vergangenen Jahren verfestigt. Jeder vierte Bürger in Deutschland hält die Medien nicht für vertrauenswürdig und wirft ihnen gezielte Manipulation vor. Das zeigen neue repräsentative Befunde der Langzeitstudie "Medienvertrauen", die am Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) durchgeführt wird.

Demnach stimmen 25 Prozent der Bevölkerung der Aussage zu: "Die Medien arbeiten mit der Politik Hand in Hand, um die Meinung der Bevölkerung zu manipulieren." Ein Jahr zuvor stimmten 20 Prozent zu, 2016 waren es 27 Prozent. Den Vorwurf, die Medien würden die Bevölkerung in Deutschland systematisch belügen, teilen aktuell 16 Prozent (2017: 13 Prozent, 2016: 19 Prozent).

Zudem zeigen die Daten, für die im Oktober/November 2018 insgesamt 1.200 Bürger ab 18 Jahren befragt wurden, dass 44 Prozent den etablierten Medien in wichtigen Fragen vertrauen (2017: 42 Prozent, 2016: 41 Prozent) – der höchste bisher gemessene Wert. 22 Prozent äußern grundsätzliches Misstrauen (2017: 17 Prozent, 2016: 22 Prozent). Die Gruppe derjenigen, die beim Vertrauen eine mittlere Position einnehmen ("teils, teils") ist so klein wie noch nie in den bisher fünf Umfragewellen der Mainzer Forschungsgruppe. Ihr Anteil beträgt nun 34 Prozent. Im Vorjahr waren es 41 Prozent, vor zehn Jahren noch 63 Prozent. Offenbar sehen sich viele Menschen angesichts einer polarisierten Debatte dazu veranlasst, auch selbst Position für oder gegen die Medien zu beziehen.

Die Ergebnisse basieren auf einer repräsentativen Telefon-Umfrage (CATI), die das Meinungsforschungsinstitut IFAK im Auftrag der Wissenschaftler am Institut für Publizistik der JGU durchgeführt hat. Die statistische Fehlertoleranz beträgt 2,8 Prozent. Die aktuellen Daten wurden erhoben, kurz bevor der Spiegel enthüllte, dass zahlreiche Artikel eines Reporters auf gefälschten Darstellungen beruhten.

Zunehmende Entfremdung

Immer mehr Deutsche fühlen sich von den etablierten Nachrichtenmedien nicht mehr gut repräsentiert. Im Jahr 2017 stimmten 18 Prozent der Aussage zu: "Die Medien haben den Kontakt zu Menschen wie mir verloren." In der aktuellen Erhebung von Ende des Jahres 2018 vertreten nun 27 Prozent diese Auffassung. Von 36 auf 43 Prozent gestiegen ist auch die Wahrnehmung, dass die Medien die gesellschaftlichen Zustände ganz anders darstellen, als es die Bürger in ihrem eigenen Umfeld wahrnehmen. Weiterführende Analysen zeigen, dass mit steigender Entfremdung von den Medien das allgemeine Medienvertrauen sinkt. Angebracht erscheint demnach die Forderung, dass die Medien die Lebenswelt ihres Publikums nicht aus den Augen verlieren dürfen.

Trotz Einbußen weiterhin hohes Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk

Nach einem Vertrauenshoch im Jahr 2017 sind die Werte für das öffentlich-rechtliche Fernsehen in der aktuellen Erhebungswelle leicht gesunken – 65 Prozent der Bevölkerung vertrauen der Berichterstattung (2017: 72 Prozent, 2016: 69 Prozent). Damit liegt der öffentlich-rechtliche Rundfunk jedoch noch immer an der Spitze verschiedener Mediengattungen. Regionalzeitungen liegen mit 63 Prozent direkt dahinter. Erstmals wurde in der aktuellen Welle zwischen regionalen und überregionalen Zeitungen unterschieden. Überregionale Zeitungen werden demnach von 49 Prozent der Befragten als vertrauenswürdig eingeschätzt. Die Daten zeigen allerdings auch, dass viele Menschen überregionale Zeitungen nicht (mehr) aus eigenem Lesen und Erleben kennen: So enthalten sich 22 Prozent der Befragten eines Urteils über die Glaubwürdigkeit der überregionalen Presse.

Internet und Social Media wenig vertrauenswürdig

Die breite Diskussion über den Datenskandal von Facebook, über Fake News im Internet und andere Gefahren des Netzes lassen viele Menschen nachhaltig vorsichtig und misstrauisch gegenüber Online-Nachrichten werden. Das Vertrauen in Internetquellen ist nach einem eklatanten Absturz im Vorjahr auch im Jahr 2018 gering. Nur 21 Prozent der Befragten vertrauen den Nachrichten auf Seiten von Suchmaschinen (2017: 23 Prozent) und nur vier Prozent den Nachrichten in sozialen Netzwerken (2017: drei Prozent). Der Anteil derjenigen, die Nachrichten in sozialen Netzwerken generell für nicht vertrauenswürdig halten, ist innerhalb eines Jahres sogar von 42 auf 51 Prozent angestiegen.

Vertrauen in die Berichterstattung über Islam und Geflüchtete ist geringer

Das Medienvertrauen der Bürger ist nicht über alle Themen hinweg gleich groß. Übergreifend vertrauen 44 Prozent der Deutschen den etablierten Medien bei wichtigen Fragen. Dagegen stimmen nur 20 bis 25 Prozent den Aussagen zu, dass die Berichterstattung der Medien über den Islam und über die Kriminalität von Flüchtlingen vertrauenswürdig ist. Dies sind auch die Themen, die die Meinungen der Deutschen polarisieren: So bejahen und verneinen jeweils circa 35 Prozent die Aussagen, dass der Islam nicht zu Deutschland gehöre und dass durch die Flüchtlinge in Deutschland die Kriminalität steige.

Meinungsfreiheit und Redeverbote

Nicht nur unter dem Schlagwort der Political Correctness wird regelmäßig debattiert, ob es von den Medien ausgehende Tabus hinsichtlich verschiedener gesellschaftlich relevanter Themen gibt. Was dürfen die Menschen öffentlich sagen, ohne sich "den Mund zu verbrennen"? In der Mainzer Umfrage stimmt nur eine Minderheit von 16 Prozent der Aussage zu, dass die Medien die Meinungsfreiheit in Deutschland prinzipiell untergraben. Eine klare Mehrheit – 59 Prozent – hält diese Aussage für unzutreffend. Allerdings sagen auch 27 Prozent: "Die Medien schreiben einem vor, was man denken soll." Mit Blick auf konkrete Themen haben jeweils mehr als ein Drittel der Deutschen den Eindruck, dass man nicht öffentlich sagen dürfe: "Durch die vielen Flüchtlinge steigt in Deutschland die Kriminalität" und "Der Islam gehört nicht zu Deutschland". Allerdings sind auch jeweils rund 40 Prozent der Meinung, dass man dies sehr wohl sagen dürfe. Kein Redeverbot nehmen die Deutschen beim Diesel-Skandal wahr – 80 Prozent meinen, dass man sich nicht den Mund verbrennt, wenn man sagt, dass die Autobauer die Diesel-Käufer systematisch belogen haben. Befragte, die den etablierten Medien wenig oder gar nicht vertrauen, nehmen über alle Themen stärkere Redeverbote wahr als Befragte mit einem moderaten oder hohen Medienvertrauen.

Mehr pauschale Medienkritik an den linken und rechten politischen Rändern

Insgesamt legen die Befunde nahe, dass das Vertrauen in die etablierten Medien im Zuge der "Lügenpresse"-Debatte keineswegs in großem Stil erodiert ist. Dennoch hat sich ein relevanter Kern an Kritikern herausgebildet, der die etablierten Medien pauschal verurteilt. Sie finden sich, so zeigt eine übergreifende Analyse der Daten aus den Jahren 2017 und 2018, überdurchschnittlich häufig an den Rändern des politischen Links-Rechts-Spektrums. Sie sind formal niedriger gebildet, politisch weniger interessiert und blicken mit mehr Sorgen auf ihre wirtschaftliche Zukunft als diejenigen Bürger, die die etablierten Medien nicht pauschal verurteilen. Darüber hinaus zeigt sich, dass die etablierten Medien vor allem von denjenigen Bürgern pauschal verurteilt werden, die häufig alternative Nachrichtenquellen im Social Web konsumieren und regelmäßig Nutzerkommentare auf den Seiten der etablierten Medien lesen.

Zur Studie

Die langfristig angelegte Studie zum Medienvertrauen basiert auf mehr als einem Jahrzehnt kommunikationswissenschaftlicher Vertrauensforschung am Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Im Mittelpunkt stehen regelmäßige repräsentative Befragungen, die die Entwicklungen, Ursachen und Folgen des Medienvertrauens erheben. Schwerpunkte der Studie sind die Verbreitung von funktionaler und dysfunktionaler Medienkritik (u.a. "Lügenpresse"-Vorwürfe) und die Beziehungen zwischen Medienvertrauen, Mediennutzung, politischen und gesellschaftlichen Einstellungen und Persönlichkeitseigenschaften. Zum Forschungsteam gehören PD Dr. Nikolaus Jackob, Dr. Ilka Jakobs, Prof. Dr. Oliver Quiring, Prof. Dr. Christian Schemer, Prof. Dr. Tanjev Schultz und Prof. Dr. Marc Ziegele.