Verhalten und Genaktivität im Gehirn von Verteidigern spiegelt Herkunft der attackierenden Sklavenhalter wider
20.02.2019
Temnothorax americanus ist eine Sklavenhalterameise im Nordosten Amerikas. Die kleinen Tiere kümmern sich weder um die Aufzucht ihrer Brut noch um die Futtersuche. Stattdessen überfallen sie Nester einer anderen Ameisenart, Temnothorax longispinosus, entführen die Larven und Puppen und bringen sie zurück in ihr eigenes Nest. Sobald die geraubten Tiere erwachsen sind, müssen sie die fremde Brut versorgen, Futter suchen, die Sklavenhalter füttern und sogar deren Nest verteidigen. Eine Kolonie dieser Sklavenhalter, bestehend aus einer Königin und zwei bis fünf Arbeiterinnen, kann 30 bis 60 Sklaven beschäftigen. In einer neuen Studie haben Biologinnen und Biologen der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) die besondere Beziehung zwischen den Parasiten und ihrem Wirt untersucht und eine spannende Entdeckung gemacht. Demnach spielt es für die Verteidigung der Wirtsameisen eine entscheidende Rolle, ob die angreifenden Sklavenhalter aus einem Gebiet mit einer erfolgreichen oder weniger erfolgreichen Population stammen. Kommen die Sklavenhalter aus einem Gebiet, in dem Sklavenhalter selten sind, reagieren die Wirtsameisen auf die Eindringlinge aggressiv. Kommen die Invasoren jedoch aus einer Gegend, in der Sklavenhalter häufig sind, erkennen die Wirte sie nicht und reagieren deshalb nicht mit Aggression. Dieser Verhaltensunterschied in der Reaktion, so ergab die Studie weiter, zeigt sich auch an der Aktivität von Aggressionsgenen im Gehirn der Ameisen.
T. americanus gehört, wie bei den Vögeln der Kuckuck, zu den Brutparasiten, die nicht den Körper ihres Wirts, sondern deren Sozial- oder Brutpflegeverhalten ausnutzen. Mit ihren Wirten liefern sich die Sozialparasiten ein "koevolutionäres Wettrüsten": Die Parasiten perfektionieren die Ausbeutung ihres Wirts, während der Wirt immer noch bessere Verteidigungsstrategien entwickelt. Bei geringem Parasitendruck reagiert T. longispinosus auf einen Angriff mit koordinierten Kämpfen, wechselt aber von der Kampf- zur Fluchtstrategie in einer stärker parasitären Umgebung. Wie sich dieser Zusammenhang und die jeweiligen Reaktionen genau verhält, hat die Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Susanne Foitzik am Institut für Organismische und Molekulare Evolutionsbiologie der JGU in der neuen Studie untersucht.
Parasiten aus ökologisch erfolgreicher Population bleiben unerkannt und lösen keine Genaktivität aus
Dazu wurden Kolonien von Wirtsameisen in Eicheln, Stöcken und Gesteinsspalten von acht verschiedenen Gebieten im Osten Nordamerikas gesammelt. Sklavenhalterameisen fanden sich in fünf dieser acht Regionen. Untersucht wurde, wie sich die Ameisen verhalten, wenn sie aufeinandertreffen, wobei die Ameisen aller Regionen gegeneinander getestet wurden. "Das Verhalten der Wirte erklärt sich allein damit, wo die Sklavenhalter herkommen", fasst Foitzik zusammen. Wird also ein Nest der Wirtsameisen T. longispinosus überfallen, dann ist es für die Verteidigerinnen wichtiger, aus welcher Umgebung der Angreifer kommt, als aus welcher geografischen Umgebung sie selbst stammen. Sklavenhalterameisen aus erfolgreichen Populationen schaffen es, unerkannt zu bleiben und stoßen dann auf eine schwächere Verteidigung. Dies spiegelt sich in der Genaktivität der Wirtsameisen wider: "Für die Genexpression der verteidigenden Wirtsameisen spielt es keine Rolle, wo sie selbst herkommen, sondern der ökologische Erfolg des angreifenden Parasiten in seiner ursprünglichen Umgebung ist entscheidend", so Foitzik. "Man könnte sagen, was im Gehirn der Ameisen passiert, hängt davon ab, auf wen ich treffe und nicht wer ich bin."
Dass es den Parasiten aus erfolgreichen Populationen gelingt, die Verteidigung ihrer Wirte quasi auszuschalten, liegt vor allem daran, dass sie es schaffen, unentdeckt zu bleiben. Ameisen erkennen sich gegenseitig an Duftstoffen, die von der Körperoberfläche, der Kutikula, ausgehen. Sklavenhalterameisen versuchen möglichst wenige dieser kutikulären Kohlenwasserstoffe auf der Haut zu tragen. Parasitenpopulationen, die sehr erfolgreich sind, verströmen besonders wenig Signalstoffe, die anderen zur Erkennung dienen könnten. "Die Sklavenhalter setzen sich eine Tarnkappe auf und bleiben damit unter dem Radar", beschreibt Prof. Dr. Susanne Foitzik das Verhalten der Angreifer. "Wenn ihnen dies gelingt, dann sehen wir auch weniger Veränderung in der Aktivität der Gene der Wirtsameisen." Die Bruträuber können dann unbemerkt und ungehindert in ein Wirtsnest eindringen.
Genexpression bei Arbeiterinnen ist stärker an Tätigkeit gekoppelt als an Alter oder Fertilität
Die Forschergruppe um Foitzik hat in einer weiteren Studie auch die Genaktivität von Arbeiterinnen der Art Temnothorax longispinosus untersucht. Der ökologische Erfolg von sozialen Insekten beruht auf ihrer Arbeitsteilung, nicht nur zwischen Königinnen und Arbeiterinnen, sondern auch unter den Arbeiterinnen selbst. Ob eine Arbeiterin die Brut versorgt oder Futter sucht, wird durch ihr Alter, die Fruchtbarkeit und den Ernährungsstatus beeinflusst. Brutpflegeameisen sind jünger, fruchtbarer und dickleibiger. Für ihre Untersuchung haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Spezialisierung auf eine bestimmte Tätigkeit von den Faktoren Alter und Fruchtbarkeit getrennt. "Wenn man aus einer Kolonie alle Brutpflegerinnen entfernt, dann werden einige Nahrungssucherinnen zu Brutpflegerinnen und umgekehrt", beschreibt Foitzik das Experiment. Die Genaktivität, so das Ergebnis, hängt bei den Ameisen stärker von ihrer Aufgabe im Staat ab als von ihrem Alter oder ihrer Fertilität – eine neue Erkenntnis, die zum besseren Verständnis der Evolution von Sozialverhalten bei Ameisen beiträgt.
Dabei können einzelne Gene einen großen Einfluss auf das Verhalten der Ameisen haben. Ein besonders wichtiges Gen ist Vitellogenin-like A, das sehr aktiv bei Brutpflegerinnen ist. Wird dieses Gen herunterreguliert, hören die Arbeiterinnen auf, den Nachwuchs der Kolonie zu versorgen und kümmern sich mehr um die erwachsenen Koloniemitglieder. Die Untersuchungen der Mainzer Forscher zeigen, dass das Gen Vitellogenin-like A die Sensibilität der Arbeiterinnen auf Brutdüfte beeinflusst. Wenn die Ameisen die Brut nicht mehr wahrnehmen, kümmern sie sich auch nicht mehr darum. Diese Experimente belegen, dass Arbeitsteilung in den Staaten sozialer Insekten dadurch gesteuert wird, dass unterschiedliche Tiere unterschiedlich stark auf bestimmte Reize reagieren, die mit spezifischen Aufgaben im Staate verknüpft sind.