Gutenberg-Gesundheitsstudie der Universitätsmedizin Mainz liefert erstmals fundierte Zahlen für Deutschland
02.11.2015
Allein in der Altersgruppe von 35 bis 74 Jahren sind mehr als 140.000 Menschen in Deutschland von Sehverlust durch die Blutzuckererkrankung Diabetes mellitus bedroht. Diese Hochrechnung beruht auf einer Studie der Universitätsmedizin Mainz, die erstmalig fundierte Zahlen für Deutschland liefert. Im Rahmen der Gutenberg-Gesundheitsstudie haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mehr als 15.000 Menschen aus der Region untersucht. Dabei stellten sie fest, dass etwa 20 Prozent der Menschen mit Diabetes an einer Schädigung der Netzhaut leiden. Fünf Prozent sind von einer fortgeschrittenen Form betroffen, welche die Sehfähigkeit sogar erheblich bedroht – dies entspricht hochgerechnet der oben genannten Zahl von mehr als 140.000 Menschen zwischen 35 und 74 Jahren. Die Ergebnisse der Studie wurden in der internationalen Fachzeitschrift PLOS ONE veröffentlicht.
In Deutschland sind über alle Altersgruppen betrachtet etwa acht Prozent der Menschen von Diabetes mellitus betroffen. Bei dieser chronischen Erkrankung ist die Steuerung des Blutzuckerspiegels gestört. Als Langzeitfolge kann der über Jahre erhöhte Blutzuckerspiegel die Blutgefäße schädigen und Durchblutungsstörungen verursachen. Sind die feinen Adern betroffen, welche die Netzhaut des Auges versorgen, spricht man von einer diabetischen Netzhauterkrankung. Schreitet die Erkrankung fort, droht der Verlust der Sehfähigkeit. Die bisherigen Schätzungen zur Zahl der Menschen in Deutschland, denen ein solcher durch Diabetes bedingter Sehverlust droht, waren sehr ungenau. Sie beruhten auf Zahlen aus dem Ausland, die mit Deutschland aufgrund anderer Lebensgewohnheiten und anderer Gesundheitsversorgungssysteme kaum vergleichbar sind. "Die Anlage der Gutenberg-Gesundheitsstudie ermöglicht es, die Ergebnisse auf die Allgemeinbevölkerung in Deutschland zu übertragen, so dass nun erstmals eine verlässliche Zahl vorliegt. Demnach sind allein in der untersuchten Studiengruppe im Alter zwischen 35 und 74 Jahren mehr als 142.000 Menschen von schweren durch Diabetes bedingten Sehschäden betroffen", erklärt Prof. Dr. Norbert Pfeiffer, Direktor der Augenklinik und Poliklinik an der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU), der die Studie mit ins Leben gerufen hat.
Ein weiteres überraschendes Ergebnis der Studie: Jeder vierte Studienteilnehmer, bei dem erhöhte Blutzuckerwerte festgestellt wurden, wusste nichts von seiner Diabeteserkrankung. Auch bei diesen Teilnehmern traten bereits frühe Formen der Netzhautschädigung auf. "Das unterstreicht die Bedeutung der Früherkennung, denn je eher der erhöhte Blutzuckerspiegel behandelt wird, desto geringer ist das Risiko für Spätfolgen", so Prof. Dr. Alireza Mirshahi, Forscher an der Augenklinik und Poliklinik der Universitätsmedizin Mainz und Direktor der Augenklinik Dardenne in Bonn, der die Untersuchung geleitet hatte. Die Auswertung der Daten zeigte ferner, dass das Risiko für eine diabetische Netzhautschädigung mit dem Alter und der Erkrankungsdauer steigt und bei erhöhtem Blutdruck größer ist. "In einem nächsten Schritt sollen nun Früherkennungsmaßnahmen aus den Studienergebnissen abgeleitet werden, die auch neueste technische Untersuchungen einschließen", ergänzt Pfeiffer. "So könnte in Zukunft wohl ein großer Teil der drohenden Sehverschlechterung oder gar Erblindung abgewendet werden."