Wissenschaftler um Mainzer Physiker Jairo Sinova eröffnen neue Wege bei weiterer Suche nach für Spintronik geeigneten Materialien / Publikation in Nature Materials
28.08.2014
Spin-Ladungs-Wandler sind wichtige Bauelemente für die Spintronik, eine Elektronik, die nicht nur die Ladung, sondern auch den Spin und die damit verknüpften magnetischen Eigenschaften der Elektronen zur Übertragung und Speicherung von Informationen nutzt. Spin-Ladungs-Wandler können elektrische in magnetische Signale umwandeln und umgekehrt. Jetzt ist es der Gruppe von Prof. Dr. Jairo Sinova vom Institut für Physik der Johannes Gutenberg Universität Mainz (JGU) zusammen mit Forschern aus Großbritannien, Tschechien und Japan erstmals gelungen, einen neuen, sehr effizienten Spin-Ladungs-Wandler auf Basis des weit verbreiteten Halbleitermaterials Gallium-Arsenid (GaAs) zu realisieren. Vergleichbar hohe Effizienzen waren bislang nur in dem Schwermetall Platin beobachtet worden. Zugleich konnten die Forscher erstmals zeigen, dass die Effizienz bei der Herstellung oder Registrierung von Spin-Strömen in einem gewissen Bereich nach Bedarf elektrisch regelbar ist, eine wichtige Eigenschaft für den praktischen Einsatz. Der zugrunde liegende Mechanismus, den die theoretischen Arbeiten von Sinovas Gruppe aufgedeckt haben, eröffnet darüber hinaus ganz neue Wege bei der weiteren Suche nach für die Spintronik geeigneten Materialien. Ihre Ergebnisse haben die Forscher kürzlich in der renommierten Fachzeitschrift Nature Materials veröffentlicht.
Bei der Spintronik werden nicht nur – wie in der Elektronik – die Ladungen von Elektronen für die Übertragung und Speicherung von Information genutzt, sondern auch ihr Spin. Darunter kann man sich eine Rotation der Elektronen um die eigene Achse vorstellen, die ein Magnetfeld hervorruft. Je nach Drehsinn zeigt der Nordpol dieser winzigen Magnete nach oben oder unten, man spricht von "Spin-up" und "Spin-down". In manchen Materialien richten sich die Spins spontan einheitlich aus. Das führt dann zu dem von Eisen bekannten ferromagnetischen Verhalten. Durch "Spin-up" und "Spin-down" lassen sich aber auch zwei Zustände – 0 und 1 – eindeutig unterscheiden. Auf diesem Prinzip basiert beispielsweise die Datenspeicherung in Computerfestplatten.
Wenn der Elektronenspin in die Übertragung und Speicherung von Information einbezogen wird, können elektronische Bauteile mit neuen Funktionalitäten entwickelt werden, die effizienter arbeiten als bisher. Um den Elektronenspin entsprechend nutzen zu können, muss er gezielt manipuliert, also ausgerichtet, transportiert und registriert werden können. Dass hierfür nicht nur Magnetfelder, sondern auch elektrische Felder geeignet sind, zeigt die aktuelle Arbeit. Damit können die sehr einfachen und präzisen Steuerungsmöglichkeiten, die in der Halbleiterelektronik für Ladung und Ladungsfluss existieren, in den Bereich der Spintronik übertragen werden und so die Welt der Halbleiter mit der Welt des Magnetismus verknüpfen.
Hierbei sind Spin-Ladungs-Wandler essenziell. Sie ermöglichen es, Ladungsflüsse in Spin-Flüsse, also elektrische Signale in magnetische Signale, zu verwandeln und umgekehrt. Hierfür nutzen die Forscher den sogenannten Spin-Hall-Effekt, ein relativistisches Phänomen, an dessen Entdeckung im Jahr 2004 Prof. Dr. Jairo Sinova bereits beteiligt war.
Beim Spin-Hall-Effekt treibt ein elektrisches Feld Elektronen durch eine Leiterplatte. Der klassische Hall-Effekt, der aus der Schulphysik bekannt ist, beruht auf der Wechselwirkung der bewegten Elektronenladung mit einem externen Magnetfeld, das die Elektronen senkrecht zu ihrer Bewegungsrichtung ablenkt. So entsteht zwischen beiden Seiten der Leiterplatte die sogenannte Hall-Spannung. Beim Spin-Hall-Effekt werden Elektronen mit ihren Spins betrachtet. Sie wurden erzeugt, indem die Probe mit zirkular polarisiertem Licht bestrahlt wurde. Dadurch sind die Spins parallel oder antiparallel zueinander ausgerichtet und zwar senkrecht zur Leiterebene und zu ihrer Bewegungsrichtung. Die sich bewegenden Elektronen-Spins werden aufgrund der für das Material typischen sogenannten Spin-Bahn-Kopplung, einem relativistischen elektromagnetischen Effekt, nach rechts oder links abgelenkt, je nach Orientierung des Spins. Auf diese Weise können die beiden Spin-Richtungen separiert werden.
Für den Einsatz in der Praxis ist es wichtig, dass diese Spin-Trennung möglichst effizient erfolgt. Bislang erwiesen sich Schwermetalle wie Platin als am effizientesten, weil die Spin-Bahn-Kopplung in schweren Elementen, die in ihrem Atomkern viele Protonen besitzen, besonders stark ist. Nun haben die Forscher um Prof. Dr. Jairo Sinova herausgefunden, dass eines der häufigst verwendeten Halbleitermaterialien, Gallium-Arsenid (GaAs), ähnlich effizient ist wie Platin, und das bei Raumtemperatur – eine wichtige Voraussetzung für die Anwendung. Darüber hinaus konnten sie erstmals zeigen, dass sich die Effizienz der Spin-Ladungs-Wandlung über die Stärke des elektrischen Feldes, das die Elektronen vorwärts treibt, sogar kontinuierlich einstellen lässt.
Welche Mechanismen diesen Phänomenen zugrunde liegen, haben die theoretischen Berechnungen von Sinova und seiner Gruppe gezeigt. Wenn sich die Elektronen durch den Halbleiter bewegen, sind sie – wie Physiker sagen – in unterschiedlichen Tälern im Leitungsband unterwegs. Man kann sich das Leitungsband als eine Art mehrspurige Autobahn für die Elektronen vorstellen, wobei auf jeder Spur eine Mindestgeschwindigkeit herrscht. Durch ein höheres elektrisches Feld wird den Elektronen der Wechsel von einer Spur auf die nächste ermöglicht. Die Stärke der Spin-Bahn-Kopplung ist auf jeder dieser Spuren anders, was sich wiederum auf die Stärke des Spin-Hall-Effektes auswirkt. Weil die Forscher die Elektronen-Spins nun beliebig auf die verschiedenen Spuren verteilen können, können sie auch die Stärke des Spin-Hall-Effekts und damit die Effizienz des Spin-Ladungs-Wandlers beliebig einstellen.
Mit ihrer Idee, die Täler im Leitungsband gezielt zu nutzen, eröffnen die Forscher um Sinova einen neuen Weg, um weitere für die Spintronik geeignete Materialien zu finden und zu entwickeln. Insbesondere weil es bereits mit heutigen Herstellungsverfahren der Halbleiterindustrie möglich ist, die Position der Täler und die Stärke der Spin-Bahn-Kopplung sehr genau einzustellen, etwa durch gezielten Einbau von Fremdelementen wie Aluminium in den Halbleiter.