Gliazellen senden auf Anforderung "Care-Pakete" mit schützenden Proteinen und genetischer Information an Nervenzellen
11.07.2013
Wissenschaftler der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) haben eine neue Form der Kommunikation zwischen verschiedenen Zelltypen im Gehirn entdeckt. Dabei interagieren Nervenzellen mit benachbarten Gliazellen und es kommt zu einem Transfer von Proteinen und genetischer Information. Dadurch werden die Nervenzellen vor ungünstigen Wachstumsbedingungen und Stress geschützt. Die Studie der Mainzer Zellbiologen zeigt, wie die wechselseitige Kommunikation zwischen den verschiedenen Zelltypen dazu beiträgt, die Funktionsfähigkeit der Neuronen zu erhalten. Die Forschungsarbeiten wurden im renommierten Fachjournal PLoS Biology veröffentlicht.
Die Funktion des Gehirns beruht auf der Kommunikation zwischen elektrisch erregbaren Nervenzellen und den umgebenden Gliazellen, die im Gehirn vielfältige Aufgaben übernehmen. Oligodendrozyten sind eine Art von Gliazellen, die um die Axone der Nervenzellen eine isolierende Myelin-Hülle aufbauen. Unabhängig von dieser Isolierung erhalten Neuronen von Oligodendrozyten eine bisher nicht vollständig verstandene Versorgung. Ist diese Versorgung nicht mehr verfügbar, können Axone absterben. Dieser Prozess wird bei vielen Myelinerkrankungen, wie z.B. der Multiplen Sklerose, beobachtet und führt zum endgültigen Verlust der Erregungsübertragung durch die Nerven.
Oligodendrozyten können, wie andere Zelltypen auch, kleine Vesikel abgeben. Diese membranumschlossenen Transportcontainer enthalten neben Lipiden und Proteinen auch Ribonukleinsäuren, also genetische Informationen. In ihrer Studie haben Carsten Frühbeis, Dominik Fröhlich und Wen Ping Kuo von der Abteilung Molekulare Zellbiologie der JGU festgestellt, dass die als "Exosomen" bezeichneten Nanovesikel von den Oligodendrozyten als Antwort auf neuronale Signale abgegeben und von den Neuronen aufgenommen werden, um dann für deren Stoffwechsel zur Verfügung zu stehen. "Das funktioniert nach dem Prinzip 'Lieferung auf Abruf'", beschreibt Studienleiterin Dr. Eva-Maria Krämer-Albers den Prozess. "Wir glauben, dass es sich dabei um 'Care-Pakete' handelt, die von den Oligodendrozyten zu den Neuronen geschickt werden."
Die Forschergruppe hat in der Untersuchung von Zellkulturen herausgefunden, dass die Freisetzung von Exosomen durch den Neurotransmitter Glutamat ausgelöst wird. Durch eine Markierung mit Reporter-Enzymen konnten die Forscher auf elegante Weise darstellen, dass die kleinen Vesikel ins Innere der Neuronen aufgenommen werden. "Das ganze Paket von Substanzen einschließlich der genetischen Information wird offenbar von den Neuronen verwertet", erläutert Krämer-Albers. Werden die Neuronen unter Stress gesetzt, geht es den mit "Care-Paketen" versorgten Zellen anschließend besser. "Die Versorgung trägt zum Schutz der Neuronen bei und bewirkt wahrscheinlich auch eine Neusynthese von Proteinen", erklären Carsten Frühbeis und Dominik Fröhlich. Zu den Substanzen, die sich in den Exosomen befinden und in die Neuronen geschleust werden, gehören beispielsweise protektive Proteine wie Hitzeschock-Proteine, glykolytische Enzyme sowie Enzyme, die den oxidativen Stress abbauen.
Die Studie zeigt, dass Exosomen der Oligodendrozyten an einer neuartigen, bidirektionalen Zellkommunikation beteiligt sind, die für den dauerhaften Erhalt der Nervenfasern von Bedeutung ist. "Eine solche Interaktion zwischen den Zellen des Nervensystems, bei der ein ganzes Paket von Substanzen, einschließlich genetischer Information, ausgetauscht wird, war bisher nicht bekannt", fasst Krämer-Albers die Ergebnisse zusammen. "Exosomen erinnern somit an Viren, mit dem kleinen Unterschied, dass sie den Zielzellen keinen Schaden zufügen, sondern einen Vorteil bringen." In Zukunft hoffen die Forscher, Exosomen als mögliche "Cure"-Pakete für Therapien von Nervenerkrankungen zu erschließen.